Wenn die Kunden bewertet werden: Die Kehrseite der Medaille
Online-Bewertungssysteme sind eine Funktion des Lebens im digitalen Zeitalter, und sie haben einen klaren Nutzen für Verbraucher, die Entscheidungen darüber treffen wollen, was sie kaufen und von wem. Für Marken liegt der Wert hoher Kundenbewertungen also auf der Hand – auch wenn es sich um einen im Wesentlichen einseitigen Prozess handelt, der dem Verbraucher Macht und Einfluss verleiht.
In jüngster Zeit haben jedoch einige Marken den neuartigen Schritt unternommen, ihre Kunden zu bewerten. Airbnb und Uber haben u. a. Online-Systeme eingeführt, die es Dienstleistern ermöglichen, Gästen oder Fahrgästen nach einem Aufenthalt oder einer Fahrt Bewertungen zu geben, so dass der Endverbraucher den Spieß umdrehen kann und das Feedback in beide Richtungen geht. Und sie tun dies aus einer Reihe von Gründen.
Fehlverhalten, Bewertungen und die Auswirkungen von Beiden
Schlechtes Verbraucherverhalten ist für Unternehmen ebenso allgegenwärtig wie kostspielig. Ob es sich um asoziale Äußerungen oder Handlungen, unbegründete oder unberechtigte Beschwerden, Beschädigungen, Diebstahl oder sogar physische Gewalt handelt – das Fehlverhalten von Kunden ist ein zunehmend wichtiges Thema. Für Marken wie Airbnb und Uber, bei denen ein Dienstleister als Vermittler zwischen dem Unternehmen und dem Endnutzer fungiert, ist es außerdem unerlässlich, den Bedürfnissen der Hausbesitzer oder Fahrer Priorität einzuräumen und sie zufrieden und motiviert zu halten.
Digitale Plattformen bieten mehrere Berührungspunkte zwischen Endnutzern und Dienstleistern. Diese Plattformen rationalisieren Transaktionen und ermöglichen ein Engagement, indem sie das Einordnen, Bewerten und Beurteilen von Produkten, Dienstleistungen – und Verbrauchern – erleichtern. Durch die Bewertung von Verbrauchern haben Unternehmen nicht nur die Möglichkeit, diejenigen zu identifizieren, die sie nicht behalten wollen, sondern auch andere zu gutem Verhalten zu motivieren. Wie Uber auf seiner Unternehmenswebsite erklärt: „Die Abgabe einer Bewertung fördert den gegenseitigen Respekt zwischen Fahrern und Mitfahrern.“
Tut sie das wirklich?
Eine neue Studie von Tami Kim, Lalin Anik und Luca Cian von der Darden School of Business legt nahe, dass Verbraucherbewertungssysteme in Wirklichkeit nicht im besten Interesse der Marken liegen könnten. Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass Marken, die ihre Kunden bewerten, sie möglicherweise sogar entfremden und genau die Verhaltensweisen und Ergebnisse fördern, die sie eigentlich eindämmen wollen.
Die Realität der Reaktion
Kim, Anik und Cian führten eine Reihe von Experimenten durch, um herauszufinden, wie Menschen darauf reagieren, eingestuft und bewertet zu werden – und wie sich ihre Einstellungen und Verhaltensweisen ändern könnten, wenn sie eine schlechte Bewertung erhalten. Ihre Ergebnisse wurden in „Feedback as a Two-Way Street: When and Why Rating Consumers Fails“ dargelegt, der in Marketing Letters veröffentlicht wurde.
Zunächst einmal wollten die Wissenschaftler untersuchen, ob die Tatsache, dass eine Bewertung abgegeben wird, bei den Kunden Misstrauen oder sogar Unmut hervorruft, da sie es einfach nicht gewohnt sind. Hinzu kommt die Tatsache, dass man nicht gerne beurteilt wird – Menschen haben eine angeborene Abneigung dagegen, bewertet zu werden, was sich in negativen Ergebnissen niederschlagen kann, insbesondere wenn sie sich nicht sicher sind, wie fair oder legitim die Bewertungsverfahren sind. Und schließlich gibt es immer noch den alten Spruch „Der Kunde ist König“. Die Verbraucher haben traditionell das Gefühl, dass sie als Gegenleistung für ihre Gunst einen Anspruch haben – einen Anspruch, den sie verdienen. Kim, Anik und Cian wollten wissen, ob eine niedrige Bewertung in gewisser Weise mit der Tatsache unvereinbar ist, dass die Verbraucher für eine Dienstleistung oder ein Produkt bezahlen, und sie daher dazu ermutigt, sich bei künftigen Begegnungen mit dem Unternehmen daneben zu benehmen oder sich falsch zu verhalten.
Um diese Elemente auseinander zu halten und festzustellen, was das Kundenverhalten beeinflusst, führten die Forscher drei Studien durch, in denen sie die Reaktionen der Menschen in einer Reihe von simulierten Szenarien untersuchten. Sie verglichen das Ausmaß, in dem drei Faktoren – die allgemeine Einstellung der Verbraucher zu Bewertungen, ihre bisherigen Erfahrungen mit Bewertungen von Marken und die von ihnen als schlecht empfundenen Bewertungen – ihre anschließenden Einstellungen und Verhaltensweisen beeinflussten.
Ergebnisse und Implikationen
Kim, Anik und Cian machten in allen Bereichen die gleichen Feststellungen. Während sich die Menschen mehr oder weniger mit der Vorstellung anfreunden konnten, in irgendeiner Weise bewertet zu werden, neigten sie bei niedrigen Bewertungen – also Bewertungen, die ihrer Meinung nach nicht mit ihren Erwartungen oder Gefühlen in Bezug auf sich selbst und den Bewerter übereinstimmten – deutlich stärker dazu, schlecht zu reagieren und sich falsch zu verhalten.
In ihrer zweiten Studie, in der die Teilnehmer in die Rolle von „Kunden“ schlüpften und die als „Dienstleister“ agierenden Bewerter in irgendeiner Weise „bestrafen“ durften – zum Beispiel, indem sie ihnen eine schwierige oder unangenehme Aufgabe zuschrieben -, fanden die Forscher heraus, dass Kunden, die eine niedrige Bewertung erhielten, mit einer umwerfenden Wahrscheinlichkeit von 82 Prozent eine solche Bestrafung vornahmen.
Letztlich warnen Kim, Anik und Cian davor, dass Kundenbewertungssysteme nach hinten losgehen können. Noch schlimmer ist, dass die unüberlegte Umsetzung dieser Praktiken und die unzureichende Berücksichtigung der Risiken oder unbeabsichtigten Folgen dazu führen kann, dass die Mitarbeiter an vorderster Front in ein feindseligeres Umfeld mit den Endnutzern geraten – eine Gefahr, die wiederum zu einer deutlich höheren Mitarbeiterbindung und Fluktuation führen könnte.
Es gibt zwar starke Argumente für die Einführung von Zwei-Wege-Bewertungssystemen, aber sie sollten mit Vorsicht eingesetzt werden. Lyft zum Beispiel ist bei der Offenlegung seiner Kundenbewertungen selektiv: Nur die Kunden mit den höchsten Bewertungen bekommen ihre Punkte zu sehen. Das ist zwar ein interessanter Ansatz, aber die Forscher warnen davor, dass gewiefte Mitarbeiter versuchen könnten, den Prozess zu umgehen, indem sie allen Kunden gute Bewertungen geben, um Feindseligkeiten oder schlechte Ergebnisse zu vermeiden – etwas, das den Zweck der Kundenbewertung von vornherein untergräbt.
Zwei-Wege-Bewertungssysteme können den Unternehmen wertvolle Daten liefern, die ihnen helfen, Entscheidungen zu treffen und das Wohlergehen der Mitarbeiter zu schützen, so Kim, Anik und Cian. Sie können aber auch unbeabsichtigte, negative Folgen haben, wenn sie unbedacht eingesetzt werden. Bei Kunden-Rankings sollte in erster Linie der Grundsatz „caveat venditor“ gelten: Der Verkäufer soll sich vorsehen.
Tami Kim, Lalin Anik und Luca Cian haben gemeinsam den Artikel „Feedback as a Two-Way Street: When and Why Rating Consumers Fails“ verfasst, der in Marketing Letters erschienen ist.
- Wenn die Kunden bewertet werden: Die Kehrseite der Medaille - 21. Oktober 2021