Weniger Geld für deutsche Startups – Standort Bayern stark im Kommen

Trotz der Corona-Krise erhielten im ersten Halbjahr dieses Jahres mehr deutsche Startups frisches Kapital als im Vorjahreszeitraum: Die Zahl der Finanzierungsrunden stieg um 8 Prozent auf 360. Größere Transaktionen, die 2019 noch für Finanzierungsrekorde gesorgt hatten, gab es allerdings kaum noch – entsprechend sank das Investitionsvolumen: um 22 Prozent auf 2,2 Milliarden Euro.

Erneut gab es in Berlin besonders rege Aktivitäten: Die Zahl der Finanzierungsrunden kletterte um 14 Prozent auf 149. In der Bundeshauptstadt machte sich allerdings der Mangel an ganz großen Transaktionen besonders bemerkbar: Das Investitionsvolumen verringerte sich um 47 Prozent auf 1,1 Milliarden Euro. Umgekehrt war die Entwicklung in Bayern, wo die Zahl der Deals um 60 Prozent auf 83 stieg und sich das Investitionsvolumen fast vervierfachte: von 204 auf 773 Millionen Euro.

Während in Berlin und Bayern mehr Finanzierungen als im Vorjahreszeitraum registriert wurden, war die Entwicklung an den übrigen größeren Startup-Standorten rückläufig: In Nordrhein-Westfalen sank die Zahl der Transaktionen um 24 Prozent auf 32, in Baden-Württemberg und Hamburg jeweils um 32 Prozent auf 17. Auch beim Investitionsvolumen konnten diese drei Bundesländer nicht an das Vorjahr anknüpfen: In Baden-Württemberg schrumpfte die insgesamt investierte Summe um 30 Prozent auf 105 Millionen Euro, in NRW um 55 Prozent auf 60 Millionen Euro und in Hamburg sogar um 68 Prozent auf 26 Millionen Euro.

Das sind Ergebnisse des Startup-Barometers der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young). Berücksichtigt wurden Unternehmen, deren Gründung höchstens zehn Jahre zurückliegt.

„Es gibt eindeutig einen Corona-Effekt bei den Risikokapitalinvestitionen“, beobachtet Thomas Prüver, Partner bei EY. „Die offensichtlichste Entwicklung ist der starke Rückgang bei sehr großen Deals: Die Zahl der Transaktionen mit einem Volumen von mehr als 100 Millionen Euro sank im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von sieben auf zwei. Gleichzeitig gab es allerdings mehr kleine Transaktionen. Damit fällt der Corona-Effekt weniger massiv aus als zunächst befürchtet“.

Die größte Transaktion in Deutschland war eine Finanzspritze von 218 Millionen Euro für den Münchner Flugtaxi-Entwickler Lilium im März, die im Juni auf fast 250 Millionen Euro erweitert wurde. An zweiter Stelle steht eine 195-Millionen-Euro-Finanzierung für den Berliner Verleiher von Technik-Geräten Grover, die schon im Januar über die Bühne ging. Die drittgrößte Transaktion konnte die Smartphone-Bank N26 vermelden, die im Mai 91 Millionen Euro erhielt.

Sinkende Transaktionszahlen im Verlauf des ersten Halbjahrs

Nach einem sehr starken Jahresauftakt ist die Zahl der Finanzierungen im Verlauf des ersten Halbjahres spürbar gesunken: Von 90 im Januar über 49 im März auf 34 im Juni. „Deals werden nicht von heute auf morgen umgesetzt, sondern erfordern eine ausführliche Vorbereitung und daher einen gewissen zeitlichen Vorlauf“, betont Prüver. „Transaktionen, die in der Vor-Corona-Zeit in Angriff genommen worden waren, wurden zum großen Teil auch abgeschlossen; nur relativ wenige Deals wurden abgesagt. Die mittelfristigen Folgen der Krise werden wir erst in den kommenden Monaten sehen. Dann zeigt sich, in welchem Umfang noch neue Transaktionen gestartet und zum Abschluss gebracht werden. Fest steht aber schon jetzt: Die Investoren sind eindeutig vorsichtiger geworden.“

Die Analyse zeigt aber auch, dass große Transaktionen nach wie vor möglich sind: Im Juni wurden zwar nur 34 Transaktionen angekündigt, deren Gesamtvolumen lag aber immerhin bei 373 Millionen Euro. „Der Markt befindet sich im Umbruch – aber nicht in Schockstarre“, sagt Prüver. „Herausragende Geschäftsideen stoßen bei den Investoren nach wie vor auf großes Interesse. Zwar dürften Corporates angesichts der Wirtschaftslage vorübergehend weniger Geld in Jungunternehmen stecken. Aber die Risikokapitalgeber verfügen nach wie vor über erhebliche liquide Mittel, die angelegt werden wollen.“

Prüver sieht in der aktuellen Situation auch eine Normalisierung nach der Überhitzung der Vorjahre: „Die Investoren achten jetzt mehr auf Qualität, die Bewertungen rücken sich zurecht, einige Hype-Themen sind in der Realität angekommen – das muss keine schlechte Entwicklung sein.“

FinTech und Mobility verlieren stark – Technologie-Startups legen zu

Im ersten Halbjahr dieses Jahres verschoben sich die Schwerpunkte der Investitionstätigkeit in Deutschland deutlich: Auf der einen Seite konnte der Bereich Software & Analytics kräftig zulegen – um 12 Prozent auf 112 Transaktionen und um 30 Prozent auf 501 Millionen Euro. Andererseits floss deutlich weniger Geld vor allem an Mobilitäts-Startups und FinTechs: Im Mobilitäts-Segment ging das Finanzierungsvolumen um 34 Prozent auf 434 Millionen Euro zurück, bei jungen Finanzunternehmen gab es sogar einen Rückgang um 55 Prozent auf 313 Millionen Euro.

„Das Interesse an hochinnovativen Technologie-Geschäftsmodellen war schon vor der Corona-Krise gestiegen, dieses Segment hat aber nun einen zusätzlichen Schub bekommen“, stellt Prüver fest. „SaaS (Software as a Service), Analytics und KI bieten vielversprechende Geschäftsideen – auch und gerade in Pandemie-Zeiten. Diese Themen profitieren daher weiterhin von hohen Bewertungen.“ Auch Gesundheits-Startups seien in den vergangenen Monaten stärker in den Fokus von Investoren geraten, so Prüver – die Zahl der Deals in diesem Segment stieg um 30 Prozent auf 61. „Digital Health wird weiter boomen. Und auch BioTech und Medtech haben in den vergangenen Monaten enorm an Bedeutung gewonnen.“

Starke Entwicklung in Bayern

Berlin konnte im ersten Halbjahr zwar seine Position als Deutschlands führender Startup-Standort behaupten, Bayern konnte aber kräftig zulegen und den Abstand zur Bundeshauptstadt deutlich verringern. „München bildet sich als zweiter großer Startup-Standort heraus“, sagt Prüver. Von den Top-5-Deals in Deutschland entfielen im ersten Halbjahr drei auf Berlin und immerhin zwei auf München. „Das Profil des Münchner Startup-Ökosystem unterscheidet sich von dem der Bundeshauptstadt: Bayern ist vor allem im Technologie-Bereich stark. Damit ergänzen sich die beiden deutschen Top-Standorte hervorragend“, betont Prüver.

Nachdem im Vorjahreszeitraum noch 76 Prozent des insgesamt in Deutschland investierten Kapitals nach Berlin flossen und auf München nur ein Anteil von 7 Prozent entfiel, lagen die beiden Regionen im ersten Halbjahr 2020 deutlich näher beieinander: 52 Prozent der Finanzierungssumme flossen nach Berlin, immerhin 35 Prozent nach Bayern.
EY