Corona-Boom auf dem Bike-Markt vorbei: E-Bikes prägen die Marktentwicklung

Wer in den vergangenen Jahren ein neues Fahrrad kaufen wollte, musste lange Wartezeiten in Kauf nehmen und tief in die Tasche greifen – nicht selten sogar beides. Diese Situation wird sich laut einer aktuellen Prognose von EY jetzt ändern: Die Preise für Fahrräder und E-Bikes sinken wieder leicht – zum ersten Mal seit Jahren. Aktuell belaufen sich die Kosten für ein E-Bike in Europa im Schnitt auf 2.736 Euro. Im kommenden Jahr werden Kundinnen und Kunden durchschnittlich 2.604 Euro zahlen, also 132 Euro (5 Prozent) weniger, vor allem weil Hersteller und Händler zum ersten Mal seit langem wieder Rabatte gewähren, was vor Corona üblich war. Grund: Die Lieferketten wurden auf die während der Pandemie gestiegene Nachfrage angepasst und die Läger sind nun gut gefüllt; gleichzeitig kühlt die Nachfrage etwas ab.

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Corona-Boom auf dem Bike-Markt vorbei: E-Bikes prägen die Marktentwicklung. pixabay.com ©Engin_Akyurt (Creative Commons CC0)

Trotzdem wird der Branchenumsatz dank steigender Absatzzahlen voraussichtlich weiter wachsen: im laufenden Jahr rechnen Experten europaweit mit einem Wachstum von voraussichtlich 1,7 Prozent auf 22,5 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Im Jahr 2018, also vor Ausbruch der Pandemie, lag der Umsatz bei 13 Milliarden Euro – seitdem ist er um 69 Prozent gestiegen. Deutschland ist mit einem Umsatz von rund 7,4 Milliarden Euro im Jahr 2022 der mit Abstand größte Absatzmarkt in Europa, vor Italien (3,1 Milliarden Euro) und Großbritannien (2,4 Milliarden Euro). Zudem ist Deutschland der größte Markt für E-Bikes, mit denen hierzulande im vergangenen Jahr 6,2 Milliarden Euro umgesetzt wurden. Dies ist fast die Hälfte (45 Prozent) des gesamteuropäischen Umsatzes mit elektrifizierten Rädern. Für die kommenden fünf Jahre rechnet EY mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate des Marktes in Europa von 4,6 Prozent.

Das sind Ergebnisse einer EY-Analyse des europäischen Fahrradmarktes, basierend auf Industriestatistiken, Verbandszahlen und EY-Recherchen.

Dr. Stefan Mohr, Partner für Sport und ESG bei EY: „Während der Pandemie traf eine hohe Nachfrage der Kundinnen und Kunden auf Lieferengpässe bei den Herstellern. Vor allem Menschen, die sonst mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs waren, sattelten im wahrsten Sinne des Wortes um. Kinos, Gaststätten, Theater waren geschlossen, eine Fahrradtour bot eine willkommene Abwechslung außerhalb der eigenen Wände – bei geringem Infektionsrisiko. Die Branche hat enorm profitiert: Die Umsätze explodierten geradezu, und dass, bei hohen Gewinnmargen.“

Constantin M. Gall, Managing Partner und Leiter Mobility bei EY für die Region Europe West: „Aktuell beobachten wir, dass sich die Situation dreht: Die Läger der Fahrradläden sind voll, aber die Nachfrage steigt nicht mehr so stark wie in den Vorjahren. Die wachstumsverwöhnte Branche muss wieder kleinere Brötchen backen, der Corona-Boom ist vorbei. Verbraucherinnen und Verbraucher können deshalb kurzfristig auf sinkende Preise und Rabattaktionen des Handels hoffen.“

Fast jedes vierte verkaufte Fahrrad ist elektrisch

Trotz des aktuellen E-Bike Booms: Nach wie vor werden mehr traditionelle Fahrräder verkauft als solche mit elektrischen Antrieben: Von den 22 Millionen abgesetzten Exemplaren in Europa im Jahr 2022 waren 17 Millionen herkömmliche Räder (77 Prozent), fünf Millionen mit einem elektrischen Motor ausgerüstet (23 Prozent). Aufgrund ihres deutlich höheren Preises stehen E-Bikes aber für 62 Prozent (13,6 Milliarden Euro) des Umsatzvolumens bei Fahrrädern in Europa. In Deutschland lag der Umsatzanteil von E-Bikes sogar bei mehr als 80 Prozent, ihr Anteil an den verkauften Exemplaren wird hierzulande in diesem Jahr vermutlich erstmals die 50-Prozent-Marke übersteigen.

Dr. Johannes Zuberer, mitverantwortlich für das Private-Equity-Geschäft in Deutschland fügt hinzu: „Betrachtet man die Umsatzzahlen hierzulande, muss man ganz klar sagen: Deutschland ist zu einer echten E-Bike-Nation geworden. In keinem europäischen Land geben die Menschen pro Kopf mehr für ihre motorisierten Fahrräder aus. Doch angesichts der hohen Inflation und stark steigender Lebenshaltungskosten werden sich viele Kundinnen und Kunden ganz genau überlegen, wie viel Geld sie noch in ihr Fahrrad stecken können und wollen. Die Händler müssen sich also auf kritischere und preissensiblere Verbraucherinnen und Verbraucher einstellen.“

Zudem sind E-Bikes in Deutschland europaweit mit am teuersten. So müssen Kundinnen und Kunden hierzulande mit Kosten von im Schnitt 2.800 Euro pro motorisiertem Fahrrad rechnen. Nur in Spanien müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher noch tiefer in die Tasche greifen: 2.940 Euro kostet ein E-Bike dort durchschnittlich.

Auch wenn der Gegenwind für die Branche zunimmt – Mohr und Zuberer sind weiterhin von ihrem wirtschaftlichen Potenzial überzeugt: „Grundsätzlich bleibt der Fahrradmarkt dank der Vorteile, die E-Bikes bieten, ein Wachstumsmarkt. Immer mehr Menschen überzeugen sich von den Vorzügen, die elektrifizierte Fahrräder ihnen im Alltag bieten – beim Einkauf, auf dem Weg zur Arbeit oder um die Kinder von der Schule abzuholen. Die aktuelle E-Bike-Generation hat sich dabei, vor allem im urbanen Raum, als echte Alternative zum Auto erwiesen und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Verkehrswende. Allerdings ist hier auch die Politik gefordert: Vielerorts sind beispielsweise die Fahrradwege nicht gut genug ausgebaut, um dort gerade mit, im Vergleich zum traditionellen Fahrrad, größeren und elektrifizierten Rädern sicher unterwegs sein zu können.“

Interessant ist, wo die Verbraucherinnen und Verbraucher zuschlagen, wenn Sie sich ein neues Rad holen: Knapp ein Viertel (24 Prozent) shoppt online, der Großteil der Kundinnen und Kunden (73 Prozent) lässt sich vor Ort von einem Fachhändler beraten.

Mohr: „Die Fachhändler in Deutschland leisten durch ihre Arbeit einen entscheidenden Beitrag bei der Verkehrswende. Dass ihre Expertise angenommen wird, zeigen die Zahlen. Kundinnen und Kunden schätzen die große Auswahl vor Ort inklusive Möglichkeiten zur Testfahrt, die direkte Beratung durch Experten sowie deren handwerkliches Knowhow vor allem im Aftersales-Service. Dinge, die auch in Zeiten der Digitalisierung vom Onlinehandel kaum geleistet werden können.“

CO2-Bilanz: E-Bikes lassen Autos alt aussehen

Geht es um das Thema Nachhaltigkeit im Verkehr, lassen Fahrräder als Alternative zum kraftstoffbetriebenen Auto letzteres ziemlich alt aussehen: Schon bei der Herstellung eines PKW entstehen zwischen 4,2 und 5,3 Tonnen CO2, beim E-Bike sind es zwischen 0,55 und 0,82 Tonnen. Die Emissionen während der Nutzung belaufen sich beim Verbrenner auf 32,5 bis 80 Tonnen des schädlichen Klimagases, bei elektrischen Fahrrädern sind es 0,18 Tonnen.

Constantin M. Gall: „Die unterschiedlichen Emissionszahlen verdeutlichen, wie wichtig der Beitrag ist, den elektrische Fahrräder bei der Verkehrswende leisten – zumindest bei Kurzstrecken. Teil der Wahrheit ist nämlich auch, dass E-Bikes Autos nicht komplett ersetzen können, weil sie, unter anderem was Reichweite und Platzangebot betrifft, schnell an Grenzen stoßen.“

Neben E-Bikes und Mobility-as-a-Service-Lösungen, werden weitere spannende Trends, wie die Ausweitung digitaler Angebote rund um den Radsport – Stichwort „Virtual Cycling“ – oder auch die Spezialisierung auf einzelne Kundengruppen und Segmente seitens der Hersteller, die Zukunft des Fahrradmarktes prägen. Zudem habe nicht jeder Haushalt die Möglichkeit, ein oder mehrere E-Bikes zu erwerben und unterzubringen, so Mohr: „Leasing- und Sharing-Angebote sind effiziente Modelle, um möglichst vielen Menschen die Möglichkeit zu geben, ihren Alltag klimaneutraler zu gestalten. Ein ausgewogener Mix der Mobilitätsalternativen ist hier entscheidend.“ In Sachen Nachhaltigkeit wird es zunehmend um die Frage des Recyclings von Fahrrädern und E-Bikes gehen – ein komplexes Thema, dem sich die ersten Hersteller bereits angenommen haben.