Hermes zieht Bilanz zum Weihnachtsgeschäft

So viele Pakete wie nie haben die Paketzusteller vor Weihnachten transportiert – ein Kraftakt, auch für Hermes. Was bedeutet das ungebremste Mengenwachstum für die Paketdienste? Ist eine Haustürzustellung weiterhin tragbar? Dirk Rahn, Geschäftsführer Operations bei Hermes Germany, zieht Bilanz und wagt einen ersten Ausblick.

Dirk Rahn, Geschäftsführer Operations, Hermes Germany (Foto: Hermes)
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Herr Rahn, Hermes hat das arbeitsreichste Weihnachtsgeschäft der Geschichte hinter sich. Freuen Sie sich jetzt auf eine Verschnaufpause?

Dirk Rahn: Das Weihnachtsgeschäft ist noch nicht vorbei. Noch bis Mitte Januar verzeichnen wir ein erhöhtes Sendungsniveau, etwa durch Retouren, aber auch durch das Einlösen von Gutscheinen und Geldgeschenken. Festzuhalten ist, dass es schon jetzt das stärkste Weihnachtsgeschäft unserer Geschichte ist, mit weit über 70 Millionen Paketen in den letzten Wochen. Dass wir das geschafft haben, ist vor allem ein Verdienst der Zusteller und Kollegen in den Logistik-Centern und Depots. Auch unserem Kundenservice möchte ich an dieser Stelle für die tolle Arbeit danken.

Bei so vielen Paketen wird das Thema Pünktlichkeit schnell zweitrangig …

Dirk Rahn: Ganz und gar nicht! Nur weil wir mehr Pakete ausfahren, heißt das nicht, dass wir unsere Qualitätsansprüche zurückschrauben. Natürlich gab es aufgrund der hohen Mengen in einigen Fällen Verzögerungen und Schleifspuren, das bleibt bei so vielen Paketen leider niemals aus. Größere Störungen allerdings gab es bei uns in all den Wochen nicht. Im Gegenteil, unser Weihnachtslieferversprechen haben wir zu über 99 Prozent einhalten können. Das ist ein Top-Wert!

Zunehmender Fachkräftemangel

Das war sicherlich auch ein Verdienst der rund 6.000 zusätzlichen Arbeitskräfte, die Hermes eigens für das Weihnachtsgeschäft rekrutiert hat.

Dirk Rahn: Ja, ohne Saisonkräfte wären selbst Tagesmengen von z.B. 2 Mio. Paketen überhaupt nicht realisierbar gewesen. Gleichwohl bemerken nicht nur wir bei Hermes, dass es zum Teil sehr schwierig ist, ausreichend Mitarbeiter für die Paketzustellung und die Verteilzentren zu bekommen. Dieser Trend wird sich absehbar weiter verschärfen.

Woran liegt das?

Dirk Rahn: Der Personalmangel betrifft nahezu die gesamte Dienstleistungsbranche in Deutschland, die Paketlogistik ist nur ein Teil davon. Aufgrund des starken Wachstums machen sich die Folgen allerdings derzeit verstärkt bemerkbar. Die Anzahl der Menschen, die einen Job in der Zustellung oder im Lager ausüben können und wollen, ist nun einmal begrenzt. Gleichzeitig buhlen immer mehr Unternehmen um eben dieses Personal. Das kann auf Dauer nicht funktionieren.

Vielleicht sollten Sie die Löhne anheben, dann findet sich auch Personal.

Dirk Rahn: Die Zusteller in Deutschland müssen mehr verdienen, das stimmt. Nur: So einfach ist die Rechnung nicht. Die Branche ist einem starken Wettbewerbsdruck ausgesetzt, die Margen sind gering, für den Versand will kaum ein Kunde zahlen. Um die Jobs in der Zustellung oder im Lager finanziell attraktiver zu gestalten, brauchen wir eine Abkehr von der Gratis-Versand-Mentalität.

Wäre es eine Lösung, gezielt mehr Flüchtlinge und Asylbewerber für Jobs in der Logistik anzuwerben?

Dirk Rahn: Das machen wir längst. In Bad Rappenau beispielsweise beschäftigen wir rund 60 Menschen mit Fluchthintergrund, die uns nicht nur toll unterstützen, sondern auch kollegial eine große Bereicherung sind. Im Logistik-Center Mainz wiederum arbeiten für uns 50 geflüchtete Menschen, die mehrheitlich aus afrikanischen Ländern stammen. Vergleichbare Konzepte gibt es auch an weiteren Standorten. Allerdings, so gut diese und andere Projekte auch laufen: Den wachsenden Personalmangel werden sie zwar leicht abfedern, nicht aber beheben.

Differenzierteres Preismodell ist notwendig

Müssen sich Kunden also darauf einstellen, dass die Haustürzustellung aufgrund von Personalmangel mittelfristig eingestellt wird?

Dirk Rahn: Nein, die Haustürzustellung wird es weiterhin geben. Allerdings brauchen wir ein deutlich differenzierteres Preis-Leistungs-Modell, das z.B. eine Zustellung an der Haustür höher bepreist als eine Sendung, die im PaketShop oder einer Paketbox zugestellt wird. Schließlich ist der Aufwand für eine Haustürzustellung ungleich größer, preislich allerdings schlägt sich das bis dato überhaupt nicht nieder. Da müssen wir ran. In anderen Ländern ist so etwas längst Standard. Mögliche Mehreinnahmen werden wir übrigens zu großen Teilen in Lohnkosten investieren.

Das klingt so, als sei eine Preisrunde für 2018 längst beschlossene Sache.

Dirk Rahn: Beschlossen ist, dass wir unser Preismodell aufgrund der aktuellen Marktsituation anpassen und verändern werden. Für Details ist es aber noch zu früh. Und: Um die immensen Mehrkosten der kommenden Peak-Season abfedern zu können, sprechen wir bereits heute mit unseren Kunden über eine Kompensation.

Wird es dann auch wieder Mengenobergrenzen für Onlinehändler geben?

Dirk Rahn: Mengenobergrenzen sind keine Dauerlösung, wir brauchen vielmehr verlässlichere Prognosen der Händler. Grundsätzlich aber sind und bleiben lokale Limits durchaus denkbar. Schließlich hat das Modell in diesem Weihnachtsgeschäft gut funktioniert, die Transparenz wurde von vielen Auftraggebern gelobt.

Ihre Auftraggeber loben Sie, weil Sie Mengen ablehnen?

Dirk Rahn: Ja, und das ist auch nachvollziehbar. Denn mit einer ehrlichen, transparenten Aussage kann ein Händler sehr gut arbeiten. Viel schlimmer wäre es doch, wenn wir immer noch Pakete annehmen würden, selbst wenn wir längst wissen, dass wir diese Mengen nicht mehr abgewickelt bekommen. Das sorgt für unnötig Frust und Ärger, beim Kunden wie beim Händler. Unendliche Kapazitäten gibt es nirgendwo auf der Welt. Wir können Kapazitäten zwar punktuell erhöhen, aber selbst dann ist irgendwann eine natürliche Grenze erreicht.

Hat es vor Weihnachten konkrete Fälle gegeben, bei denen Sie Mengen von Händlern ablehnen mussten?

Dirk Rahn: Ja, wir haben in manchen Postleitzahlgebieten die Mengen für einzelne Händler partiell begrenzen müssen, weil die Anliefermengen die Kapazitäten sonst überstiegen hätten. Solche Begrenzungen waren teils tagesaktuell, sprich: Am Mittwoch waren wir voll ausgelastet, am Donnerstag hingegen gab es noch Luft. Das zeigt, wie stark die Mengen im Paketversand von Tag zu Tag schwanken.

„Logistik kann nicht kostenlos sein“

Jetzt, nachdem das Weihnachtsgeschäft bald vorbei ist: Welche Lehren ziehen Sie daraus? Was muss sich verändern?

Dirk Rahn: Eigentlich ist es simpel: Es gibt nur zwei Wege, wie Paket und Kunde zusammenkommen – entweder kommt das Paket zum Kunden, oder der Kunde kommt zum Paket. Und letzteres kann übrigens auch sehr kundenfreundlich sein, wenn man es intelligent in den Alltag unserer Kunden integriert.

Allerdings: Da es personell immer schwieriger abbildbar ist, alle Pakete zum Kunden zu bringen, müssen wir uns gemeinsam mit dem Handel um Alternativen kümmern. Gerade in den Städten braucht es verstärkt z.B. Lieferungen in PaketShops. Auch der Einsatz von Robotern oder Drohnen ist denkbar, momentan jedoch nur als Nischenlösung. Funktionieren kann all das außerdem nur, wenn Logistik, Handel und Kommunen noch enger als bislang zusammenarbeiten – und der Verbraucher erkennt, dass Logistik nicht kostenlos sein kann.

Was wünschen Sie sich für 2018?

Dirk Rahn: Es muss erkannt werden, dass ein „Weiter so“ mit der Gratis-Versand-Mentalität nicht funktioniert. Das immense Wachstum im E-Commerce erfordert kräftige Investitionen in Lager- und Sortierkapazitäten sowie ganz besonders auch in die Entlohnung der Mitarbeiter in der Zustellung und in den Verteilzentren. Solche Investitionen haben ihren Preis. Neben der leistungsgerechten Vergütung von Services bedarf es deshalb nachhaltiger, innovativer Konzepte und Lösungen. Schließlich wollen wir auch in Zukunft sicherstellen, dass der Paketversand für alle bequem und einfach bleibt. Die Paketdienstleistung ist eine Leistung von Menschen für Menschen. Das muss bewusst werden.

Ingo Bertram: Danke für das Gespräch.

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