Eingeschleust bei Amazon in Frankreich – ein Erfahrungsbericht

Der Journalist Jean-Baptiste Malet arbeitete im Vorweihnachtsgeschäft als Zeitarbeiter im Amazon-Logistikzentrum Montélimar. Über seine Erfahrungen hat er ein Buch mit dem Titel In Amazonien – Eingeschleust in die beste aller Welten geschrieben.

Dem Autor Ralf Klingsieck vom boersenblatt.net stand er Rede und Antwort.

Die Idee sich bei Amazon einzuschleusen, kam durch seine Liebe zu Büchern. Als Journalist besucht er oft Buchhandlungen. Er wisse auch, wie viele von ihnen schon dem ungleichen Wettbewerb mit Amazon zum Opfer gefallen seien. Um einen Blick hinter die Kulissen werfen zu können, versuchte er über den Amazon-Logistikstandort für Südfrankreich in Montélimar zu recherchieren und zu schreiben.

Doch all seine Versuche, in Montélimar mit Mitarbeitern zu sprechen, scheiterten. Er hörte immer wieder, dass es den Mitarbeitern nicht gestattet sei mit Journalisten zu sprechen.

Da Malet eifriger Leser der Bücher von Günter Wallraff ist, kam ihm schließlich die Idee, sich bei Amazon einzuschleusen. Er mietete in Montélimar ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft und bewarb sich bei einer der Zeitarbeitsfirmen, die jedes Jahr für die Weihnachtssaison Kräfte für Amazon sucht. Malet hat erfolgreich alle erforderlichen Einstellungstests absolviert und ist für 6 Wochen für die Nachtschicht angestellt worden. Arbeitgeber war die Zeitarbeiterfirma Adecco, die Personal-Dienstleister für Amazon ist.

Der Journalist konnte sich eine Tätigkeit unter 4 aussuchen, zugewiesen wurde ihm keine. Es standen 2 im Lagerbereich und 2 in der „Produktion“ zur Auswahl. Im Lagerbereich hat man entweder als „Eacher“ die ankommenden Artikel auszupacken, zu sortieren und für das Computersystem zu erfassen oder sie als „Stower“ in die Regalfächer einzuräumen. In der „Produktion“ kann man als „Picker“ die Waren anhand der Bestellungen zusammensuchen oder sie dann als „Packer“ zur Auslieferung bereit machen. Jede Tätigkeit hat ihre spezifischen Härten: Im Lagerbereich arbeitet man hart körperlich, da die Waren immer gleich tonnenweise ankommen. Als Picker muss man in der 36.000 Quadratmeter großen Lagerhalle pro Schicht etwa 20 Kilometer laufen, während man als Packer die ganze Zeit an einem Fleck am Band stehen muss.

Malet entschied sich als Picker zu arbeiten. Hier hatte er die Möglichkeit viel im Lagerraum herumzukommen. Doch gleich auf welchem Posten, so Malet, die Arbeit sei überall sehr schwer und körperlich anstrengend. Aufgrund der  Arbeitsbedingungen sei auch die Fluktuation sehr groß.

Die Amazon-Lager befinden sich jedoch meist in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit, sodass die Menschen dort oft keine Wahl haben. Im Departement Drôme, wo Montélimar liegt, beträgt die Arbeitslosenrate 11,4%. Amazon findet aus diesem Grund auch immer wieder neue Kräfte.

Autor Ralf Klingsieck wollte von Malet wissen, wie bei Amazon der Umgang mit den Mitarbeitern sei:

„Die Gruppenleiter und die Manager, mit denen er und die anderen es im Lager unmittelbar zu tun hatten, trommeln ständig, man müsse ‚motiviert‘ sein“. Jede Schicht beginne nicht nur mit der Vorgabe, was weggearbeitet werden müsse, sondern ebenso mit der Aufforderung, „Spaß bei der Arbeit“ zu haben. In den Augen von Malet sei das reiner Hohn, denn parallel dazu würde bei jedem Mitarbeiter per Computer ständig die Produktivität verfolgt. Entspräche diese nicht den Erwartungen oder ginge stellenweise zurück, würde man im persönlichen Gespräch ermahnt oder verwarnt. Wer von den Zeitarbeitern sich nach Ansicht der Vorgesetzten nicht ausreichend schindet, könne fristlos entlassen werden.

Als „Neuer“ bei Amazon bekommt man eine Liste von Begriffen in Englisch für die verschiedenen Operationen, Abteilungen oder Posten. Diese muss man lernen und beherrschen, denn nur diese Ausdrücke sind im Betriebsalltag zu verwenden. Ferner seien alle, auch die Vorgesetzten, zu duzen und nur mit dem Vornamen anzureden.

Gibt es einen Betriebsrat und welchen Einfluss hat er?

„Ja, es gibt einen Betriebsrat, schließlich ist das in Frankreich per Gesetz vorgeschrieben. In Saran bei Orléans, dem ersten Amazon-Standort in Frankreich, ist der sogar sehr aktiv und hat 2009 den ersten Streik organisiert, den Amazon weltweit erlebt hat“. In Montélimar sei die Lage komplizierter. Alle Betriebsratsmitglieder würden besonders scharf von den Vorgesetzten überwacht, da man jeden Vorwand nutze würde, um diese loszuwerden.

Zusammenfassend, so Malet, sei die Arbeit bei Amazon sehr hart. Unter anderem aufgrund seiner amerikanischen Herkunft und „Firmenkultur“ verhalte sich Amazon tückischer als die meisten französischen Großunternehmen. Zwar müsse in den französischen Unternehmen auch hart gearbeitet werden, doch spiele man hier keine „idyllische Scheinwelt“ vor mit „Teilhabern“, die glücklich und zufrieden sind.

Amazons Invasion habe ferner zur Folge, dass Hunderte von Buchhandlungen, die diesem ungleichen Konkurrenzkampf nicht standhalten können, kapitulieren müssen. Ein landesweites Netz von unentbehrlichen „Bastionen“ der Kultur sterbe so Schritt für Schritt aus[was nicht nur in Frankreich der Fall ist, sondern auch in anderen Nationen].

Malet erklärt, dass bei Amazon ein Buch eine Ware ist wie jede andere und man von Kultur leider nichts spüre.