90% aller Online-Gründungen werden nie gewinnbringend arbeiten

Holger Winkler, Autor des Buches „Onlinehandel mit Erfolg, Marktnischen finden“, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Vertrieb, Handel und Marketing. Seit dem Jahr 2004 arbeitet er selber aktiv mit dem Internet als Vertriebskanal. Er war verantwortlicher Händlerberater bei einer führenden Online-Handelsplattform, Marketingleiter bei einem börsennotierten Unternehmen und Geschäftsführer einer auf Marketing spezialisierten Unternehmensberatung.
Mehrere hundert Internet-Händler profitieren schon von seiner Erfahrung, die er durch seine eCommerce-Beratung shopkatapult vor allem an kleine und mittlere Online-Händler weitergibt.

In einem Interview mit der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine stellt erfolgendes fest: „Im Jahr 2011 wurden in Deutschland Waren im Wert von 25 Milliarden Euro im Netz veräußert. Die Prognosen für das Jahr 2015 liegen bei etwa 35 Milliarden Euro. Es scheint also so, dass sich der Interneteinkauf auch in Deutschland mittlerweile durchgesetzt hat. Auch sieht es so aus, als würden die Konsumenten in Zukunft verstärkt das Internet als Einkaufsquelle nutzen.

Auf die Frage wer online einkauft und was erworben wird antwortet Winkler: „Eine Befragung aus dem Jahr 2009 kommt zu dem Ergebnis, dass es fast keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen gibt. Über 80% aller Anwender, die im Internet unterwegs sind, kaufen auch online. Dabei ist es hauptsächlich die Altersgruppe der 20- bis 59-Jährigen, die aktiv im Web shoppen. Die 40- bis 49-Jährigen stellen die stärkste Käufergruppe. Auf der Rangliste des Einkaufs ganz oben stehen Kleidung, Tickets, Bücher, Musik sowie Reisen und Flugtickets. Über die 12 Monate des Jahres 2011 gerechnet, gab ein deutscher Interneteinkäufer im Schnitt 900,00 Euro aus.“

Deutschland ist damit beim Online-Shopping aber nicht führend in Europa, wie Holger Winkler erklärt, sondern eher im Mittelfeld zu finden. Die dänische Bevölkerung ist im europäischen Vergleich die aktivste Online-Kunden-Gruppe. Sie geben jährlich doppelt so viel aus wie die deutschen Bundesbürger. Vor Deutschland liegen auch noch die Briten, die Norweger, die Franzosen sowie die Schweizer. Italien, Schweden und Spanien liegen genau wie Deutschland im Mittelfeld. Polen liegt in Europa aktuell auf dem letzten Platz hinsichtlich des Einkaufs im Internet.

Der Internet-Handel wird in Deutschland oft als Bedrohung für den Einzelhandel sowie die Innenstädte angesehen. Stimmt dieser Vorwurf?

Winkler sagt hierzu: „Neues bedroht immer Bestehendes, sobald es nur bei genügend Menschen Interesse findet, egal ob in der Politik, der Technik oder auch dem Handel.“ Die Angst sei im klassischen Einzelhandel, bei den etablierten Katalogversendern, oder auch bei den Abholmärkten längst angekommen und durchaus berechtigt. Das sei jedoch nur eine Seite der Wahrheit. „Wir sehen täglich in der Praxis, dass der Online-Handel unzähligen Menschen Chancen bietet, die noch vor 10 Jahren undenkbar gewesen wären. Und dies gilt ebenso für den Einzelhandel und viele Teile des Handwerks, sowie grundsätzlich für alle, die mit ihrem Kopf bisher klassisch Geld verdient haben. Vorausgesetzt, die Herausforderung wird angenommen.“

Der Einzelhandel profitiert vom Online-Handel?

Schritt für Schritt zur eigenen Marktnische
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Winkler erklärt, dass es heute bereits Unternehmer aus Einzelhandel, Handwerk und Produktion gibt, deren Existenz tonangebend auf lukrativen Internet-Vertrieb setzt. 35% der befragten Händler, die neben einem Ladengeschäft auch einen Webshop betreiben, gaben für 2010 beispielsweise an, dass ihre Umsätze im Onlineshop deutlich höher seien als im stationären Geschäft. Winkler ist der Meinung, dass wer es online richtig machen will, sich spezialisieren  muss. Damit könne man viel mehr Kundschaft über das Internet erreichen und für sich gewinnen, als man mit einem Ladengeschäft, einem etablierten Vertriebsteam oder dem regionalen Wirkungskreis in der Vergangenheit je erreichen konnte. Dieses Potential stünde jedem offen.

Ob das nicht eher ein Wunschdenken sei?

Winkler: „Es kommt darauf an. Geschätzte 90% aller Online-Gründungen bringen es nicht weit beziehungsweise werden nie gewinnbringend. … Sieht man sich die Rangliste der 10 größten deutschen Webshops an, die in Deutschland die meisten Umsätze erwirtschaften, so finden sich darunter allerdings gleich 2 mittelständische Unternehmen. 2010 seien dies das Musikhaus thomann.de mit geschätzten 345 Millionen Euro sowie notebooksbilliger.de mit 325 Millionen Euro Online-Umsatz gewesen. Beide hätten die Zeichen der Zeit erkannt.

Was sollte ein potentieller Online-Händler demnach unbedingt beachten?

Winkler meint, dass nicht der Umsatz, sondern der Ertrag das Maß aller Dinge sei. Seine Erklärung hierzu: Man könne es schon binnen kurzer Zeit über den Online-Marktplatz oder Amazon schaffen, dass die Spedition 2-mal täglich vorfährt und sehr viele Päckchen abholt. Das sähe doch schon sehr erfolgreich aus. Doch aufgrund unbemerkter Folgekosten und hohen Verkaufsprovisionen halte sich der generierbare Gewinn auf den Plattformen in sehr engen Grenzen. Häufig dauert es eine ganze Weile bis man das bemerke. Schließlich steige anfangs monatlich sowohl Umsatz als auch Versandvolumen in unerwarteter Höhe und die laufenden Betriebskosten seien gering. Überlege man sich dann seinen Hauptabsatz über einen eigenen Webshop abzuwickeln, würden plötzlich ganz andere Spielregeln gelten:

  • deutlich höhere Betriebs- und Vermarktungskosten,
  • deutlich mehr Vermarktungs-Kompetenz.

Genau hier „trenne sich dann die Spreu vom Weizen“. Es sei daher sehr wichtig, von Anfang an exakt zu analysieren, wo und wie der Internet-Erfolg gelingen kann. Es gebe mittlerweile auch sehr viele Daten über das Verhalten und die Bedürfnisse der Internet-Nutzer. Zum Schluss müsse man die eigene Strategie, „lieber zu langsam als zu schnell“, umsetzen. Die dazu benötigten finanziellen Mittel sollten am besten aus der eigenen Tasche stammen.