Google Chrome vor dem Verkauf? Was hinter den Forderungen der US-Behörden steckt

In den letzten Monaten häufen sich Berichte über einen möglichen Verkauf von Google Chrome. Auslöser dafür ist ein laufendes Kartellverfahren in den USA, in dem die Wettbewerbsbehörden fordern, dass Google seinen dominierenden Webbrowser Chrome abgibt. Dieser Schritt wäre ein Novum für den Technologieriesen und wirft viele Fragen auf. Im Folgenden beleuchten wir aktuelle Hinweise auf einen Chrome-Verkauf, die Gründe für ein solches Vorhaben, potenzielle Käufer, Einschätzungen von Experten zur Wahrscheinlichkeit sowie vergleichbare Fälle in der Tech-Branche.

Google Chrome vor dem Verkauf? Was hinter den Forderungen der US-Behörden stecktAI generated picture by ©onlinemarktplatz.de
Google Chrome vor dem Verkauf? Was hinter den Forderungen der US-Behörden steckt

Aktuelle Hinweise auf einen möglichen Chrome-Verkauf

Konkret drängt derzeit das US-Justizministerium (DOJ) darauf, dass das Unternehmen seinen Webbrowser Google Chrome veräußern muss. In einem Kartellprozess um Googles Marktmacht im Suchmaschinenmarkt haben die Behörden im November 2024 beantragt, Google zu einer Trennung von Chrome zu zwingen. Ein Bundesrichter hatte bereits im August 2024 festgestellt, dass Google ein illegales Monopol bei der Internetsuche hat. Der Chrome-Browser – mit rund 60 % Marktanteil in den USA und etwa zwei Dritteln weltweit – sei ein zentraler Faktor dieser Dominanz. Durch eine Abgabe von Google Chrome erhoffen sich die Regulierer mehr Wettbewerb bei der Websuche.

Die Eingabe des DOJ sieht vor, dass Google den weltweit meistgenutzten Browser verkauft und für fünf Jahre vom Browser-Markt ausgeschlossen wird. Zudem sollen weitere Maßnahmen die Marktmacht brechen, etwa ein Verbot milliardenschwerer Zahlungen an Partner für die Voreinstellung der Google-Suche. So zahlte Google bspw. allein an Apple im Jahr 2021 etwa 18 Milliarden US‑Dollar (rund 16 Milliarden €), um in Safari als Standardsuchmaschine gelistet zu sein. Das DOJ will solche Praktiken unterbinden, da sie den Zugang rivalisierender Suchanbieter beschränken.

Google wehrt sich vehement gegen die Forderung, Google Chrome zu verkaufen. Das Unternehmen kritisiert, ein erzwungener Verkauf von Chrome und die weiteren Auflagen würden die Produktqualität verschlechtern und die Datensicherheit der Nutzer gefährden. Intern spricht Google von einem “überzogenen, interventionistischen Ansatz” der Behörden. Man warnt, eine Zerschlagung schade letztlich Verbrauchern und der Innovationskraft der USA insgesamt. Google hat angekündigt, gegen ein etwaiges Urteil Rechtsmittel einzulegen.

Gründe: Wirtschaftliche, regulatorische und strategische Hintergründe

Die Forderung nach einem Chrome-Verkauf ist vor allem regulatorisch motiviert. Aus Sicht der Kartellwächter sichert Google seine dominierende Stellung im Suchgeschäft durch unlautere Mittel – insbesondere durch die Kontrolle wichtiger Zugangswege zum Internet. Chrome ist dabei eng mit Googles Suchmaschine und Werbegeschäft verflochten. Historisch wurde der Browser ursprünglich entwickelt, um Googles Suche im Web zu fördern.

Bis heute profitiert Google davon, dass Chrome als Voreinstellung die eigene Suchmaschine nutzt und riesige Mengen Nutzerdaten an Google liefert. Ein Verkauf von Google Chrome würde Googles Kontrolle über diesen wichtigen Zugangspunkt ins Internet beenden und anderen Suchanbietern eine fairere Chance geben, so das DOJ. Gleichzeitig würde damit eine Kernkomponente von Googles Ökosystem herausgelöst, was das Suchmonopol aufbrechen soll.

Google Chrome vor dem Verkauf? Was hinter den Forderungen der US-Behörden stecktAI generated picture by ©onlinemarktplatz.de
Google Chrome vor dem Verkauf? Was hinter den Forderungen der US-Behörden steckt

Auch strategische Überlegungen spielen eine Rolle. Beobachter weisen darauf hin, dass Google Chrome als kostenloser Browser intern durch Such-Werbeeinnahmen quersubventioniert. Ein anderer Eigentümer müsste daher neue Wege finden, Chrome zu finanzieren, etwa durch Integration eigener Dienste oder Werbung. Zudem hat Google mit Chrome und dem Mobilbetriebssystem Android über Jahre diverse Exklusiv-Verträge geschlossen, um die Verbreitung der Google-Suche sicherzustellen. Einige dieser Praktiken lockert Google mittlerweile – vermutlich auch in Erwartung regulatorischen Drucks. Doch insgesamt sehen Wettbewerbshüter eine strukturelle Lösung als nötig an, um die Marktmacht dauerhaft zu begrenzen.

Wirtschaftliche Gründe seitens Google selbst, Chrome freiwillig abstoßen zu wollen, sind dagegen nicht erkennbar. Chrome ist ein strategisches Kernprodukt, das eng an Googles Werbeumsätze gekoppelt ist. Nur äußerster regulatorischer Druck – etwa zur Vermeidung einer noch weitreichenderen Zerschlagung des Konzerns – könnte Google dazu bewegen, einen Verkauf überhaupt in Betracht zu ziehen. Entsprechend lehnt das Unternehmen diesen Schritt bislang kategorisch ab und setzt lieber auf Kompromisse oder lange Rechtsverfahren.

Potenzielle Käufer des Chrome-Browsers

Falls es tatsächlich zu einem Verkauf kommen sollte, stellt sich die Frage: Wer würde Google Chrome kaufen? Die Auswahl möglicher Käufer ist aufgrund von Finanzkraft, technischer Kompetenz und regulatorischen Hürden begrenzt. Eine Schätzung beziffert den Wert von Chrome auf 15 bis 20 Milliarden US-Dollar (rund 13,5–18 Milliarden €). Nur wenige Unternehmen weltweit können einen solchen Betrag stemmen – und laut Vorgabe müsste der Käufer aus den USA kommen. Zwar hätten Tech-Giganten wie Microsoft, Apple, Meta oder Amazon prinzipiell das Kapital und die Infrastruktur, um Chrome zu übernehmen.

Doch ein Verkauf an einen der großen Konkurrenten gilt als unwahrscheinlich: Die Kartellbehörden würden kaum zustimmen, wenn ein anderer Tech-Riese den dominanten Browser schluckt, da dies nur neue Wettbewerbsprobleme schaffen würde. Im Gegenteil, alle genannten Konzerne stehen selbst unter kartellrechtlicher Beobachtung und würden sich mit der Übernahme von Chrome womöglich ins eigene Fleisch schneiden. Ein Brancheninsider merkt dazu an: “Wäre es klug, sich einen dominierenden Browser ans Bein zu binden, der schon Google große Probleme macht?”  – die Antwort dürfte für Microsoft & Co. eher Nein lauten.

 Google Chrome vor dem Verkauf? Was hinter den Forderungen der US-Behörden stecktAI generated picture by ©onlinemarktplatz.de
Google Chrome vor dem Verkauf? Was hinter den Forderungen der US-Behörden steckt

Stattdessen sehen Experten mögliche Käufer eher unter den aufstrebenden KI-Unternehmen. So hat OpenAI, das Unternehmen hinter ChatGPT, öffentlich Interesse signalisiert, Chrome zu erwerben, sollte Google tatsächlich zum Verkauf gezwungen werden. Nick Turley, Produktchef von ChatGPT, erklärte in der Gerichtsanhörung, OpenAI sehe darin eine Chance, die eigenen KI-Produkte deutlich zu verbessern. Chrome mit seiner riesigen Nutzerbasis wäre für OpenAI ein idealer Einstieg in das Werbegeschäft und würde erlauben, KI-Funktionen direkt im Browser zu verankern. Unter der Kontrolle von OpenAI könnte Chrome zu einem innovativen “KI-Browser” weiterentwickelt werden, so Turley – mit Künstlicher Intelligenz als integraler Bestandteil des Surferlebnisses.

Neben OpenAI dürften auch weitere Interessenten ein Auge auf Chrome haben, sollte es auf den Markt kommen. In der Gerichtsverhandlung wurde angedeutet, dass noch andere Firmen potenziell Interesse hätten. Namen wurden zwar nicht genannt, doch denkbar wären etwa Software-Unternehmen, die bislang keinen eigenen Browser haben, oder Finanzinvestoren, die Chrome in ein eigenständiges Unternehmen überführen. Allerdings betonen Branchenbeobachter, dass der Betrieb und die Weiterentwicklung eines Browsers in der Größenordnung von Chrome extrem anspruchsvoll ist. Drei Milliarden Nutzer mit Updates zu versorgen und Dienste wie Synchronisierung, Safe-Browsing und Autocomplete bereitzustellen erfordert enorme Ressourcen.

Ein branchenfremder Käufer ohne bestehende Infrastruktur käme daher kaum in Frage. Wahrscheinlicher ist, dass ein Käufer aus dem erweiterten Tech-Sektor stammt, der sowohl finanzielle als auch technische Mittel mitbringt – wie eben ein großes KI-Lab oder ein Konsortium aus Investoren und Technikfirmen. Sollte sich kein geeigneter Käufer finden, stünde Google letztlich vor einem Dilemma – und die Behörden müssten ihre Forderung eventuell anpassen oder Google erlauben, Chrome unter Auflagen zu behalten.

Experteneinschätzungen zur Wahrscheinlichkeit eines Verkaufs

Trotz der deutlichen Forderungen der Behörden ist unklar, wie wahrscheinlich ein erzwungener Chrome-Verkauf tatsächlich ist. Rechtlich steht die Entscheidung noch aus: Bundesrichter Amit Mehta wird erst 2025 – voraussichtlich im August – über die beantragten Maßnahmen entscheiden. Bis dahin könnten sich die politischen Vorzeichen in den USA verändern. Im Januar 2025 übernimmt eine neue Regierung unter Donald Trump die Amtsgeschäfte, und Trump hat sich im Wahlkampf skeptisch zu einer Zerschlagung von Google geäußert. Er argumentierte, davon würden vor allem ausländische Konkurrenten wie China profitieren, und forderte stattdessen „mehr Fairness“ in der Suche anstelle einer Aufspaltung.

Beobachter rechnen damit, dass Trump personelle Änderungen vornehmen wird – etwa den zuständigen Kartellchef Jonathan Kanter und FTC-Chefin Lina Khan austauschen –, was den Druck auf Google verringern könnte. Sollte die neue Regierung den harten Kurs nicht fortsetzen, könnten Kompromisslösungen statt einer brachialen Abspaltung wahrscheinlicher werden.

Google Chrome vor dem Verkauf? Was hinter den Forderungen der US-Behörden stecktAI generated picture by ©onlinemarktplatz.de
Google Chrome vor dem Verkauf? Was hinter den Forderungen der US-Behörden steckt

Auch aus praktischer Sicht zweifeln viele Experten daran, dass Chrome am Ende wirklich den Besitzer wechselt. Analysten betonen die komplexen Folgen: Ein Verkauf würde einen tiefen Einschnitt in Googles Geschäftsmodell bedeuten und müsste so gestaltet sein, dass Nutzer nicht leiden. Findet sich kein Käufer, der die finanzielle und technische Last stemmen kann, könnten die Gerichte stattdessen auf weniger drastische Mittel zurückgreifen. Ein denkbares Szenario wäre, dass Chrome bei Google verbleibt, Google aber Auflagen akzeptieren muss – etwa die Entbündelung der Suche vom Browser.

So könnte verfügt werden, dass Google Chrome künftig bei der Installation eine Auswahl verschiedener Suchmaschinen anbietet, anstatt Google standardmäßig zu setzen. Eine ähnliche Auflage gab es vor Jahren schon in der EU für Microsofts Windows (der “Browser-Auswahlbildschirm”). Für wahrscheinlich halten Branchenkenner auch zusätzliche Vereinbarungen, die sicherstellen, dass Google konkurrierende Suchmaschinen nicht mehr über Zahlungen verdrängt. Diese milderen Maßnahmen könnten den Wettbewerb stärken, ohne dass gleich ein Verkauf erfolgen muss.

Google selbst gibt sich zuversichtlich, eine erzwungene Veräußerung abwenden zu können. In der Vergangenheit gelang es schon Microsoft, der gerichtlich angeordneten Zerschlagung zu entgehen – trotz eines ersten Urteils, das das Unternehmen in zwei Teile aufspalten wollte. Ähnlich könnte Google im Berufungsfall auf günstigere Auflagen hoffen. Aktuell heißt es für die über drei Milliarden Google Chrome-Nutzer ohnehin: Abwarten.

Bis zu einer endgültigen Entscheidung bleibt alles beim Alten, und selbst im Falle eines Verkaufs von Google Chrome erwarten Experten keine abrupten Veränderungen für Endanwender. Wahrscheinlicher ist ein langfristiger Umbau im Hintergrund, der schrittweise abläuft. Insgesamt überwiegt bei vielen Marktbeobachtern die Einschätzung, dass die Hürden für einen Google Chrome-Verkauf hoch sind – ganz ausschließen will ihn aber niemand mehr angesichts der Entschlossenheit der US-Kartellbehörden.

Ähnliche Fälle und Kontext in der Tech-Branche

Der mögliche Verkauf von Google Chrome wäre ein beispielloser Vorgang in der jüngeren Tech-Geschichte. Vergleichbare Fälle gab es bisher nur selten: Oft endeten kartellrechtliche Konflikte mit Auflagen statt mit Verkäufen. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt jedoch, dass bei erwiesener Monopolmissbrauch auch schon drastische Schritte angeordnet wurden.

Ein bekanntes Beispiel ist der Microsoft-Prozess um den Internet Explorer. Im Jahr 2000 entschied ein US-Richter, Microsoft müsse aufgrund der Ausnutzung seiner Windows-Marktposition zur Verdrängung des konkurrierenden Netscape-Browsers den Internet Explorer aus dem Unternehmen herauslösen. Diese Zerschlagung wurde zwar im Berufungsverfahren 2001 abgewendet und letztlich durch mildere Auflagen (wie die Öffnung von Schnittstellen und eine Wettbewerbsaufsicht) ersetzt.

Doch der Fall zeigt Parallelen: Ein dominantes Betriebssystem bzw. eine Plattform (Windows bei Microsoft, Google Chrome + Android bei Google) wurde genutzt, um einen anderen Markt zu kontrollieren. Die Lehre aus dem Microsoft-Fall war, dass Regulierer wachsam blieben – Jahre später verpflichtete etwa die EU Microsoft dazu, Windows-Nutzern alternative Browser zur Auswahl zu stellen, anstatt IE vorzubundeln. Für Google Chrome könnte eine ähnliche Lösung – also mehr Wahlfreiheit statt Eigentümerwechsel – am Ende ebenfalls eine Option sein, falls ein Verkauf als zu einschneidend erachtet wird.

Google Chrome vor dem Verkauf? Was hinter den Forderungen der US-Behörden stecktAI generated picture by ©onlinemarktplatz.de
Google Chrome vor dem Verkauf? Was hinter den Forderungen der US-Behörden steckt

Noch weiter zurück liegt die Aufspaltung von AT&T im Telekomsektor. Der Telefonriese hielt über Jahrzehnte ein Monopol in den USA, bis er Anfang der 1980er gezwungen wurde, sich zu zerschlagen. 1984 wurden infolge eines Antitrust-Vergleichs die 22 regionalen Bell-Telefongesellschaften von AT&T getrennt und in sieben neue Unternehmen überführt. Dieser historische Schritt zeigt, dass die US-Kartellbehörden durchaus bereit sind, einen dominierenden Konzern zum Wohle des Wettbewerbs aufzuteilen – selbst wenn es sich um einen der wertvollsten Konzerne der Welt handelt.

Die Zerschlagung von AT&T gilt bis heute als Präzedenzfall dafür, wie Monopolmacht gebrochen werden kann, auch wenn sie für das Unternehmen schmerzhaft war. Im Tech-Bereich wäre Google Chrome zwar „nur“ ein Teil eines größeren Konzerns, aber die Symbolik wäre vergleichbar: Ein zentraler Marktführer würde auf staatliche Anordnung hin zerteilt.

Auch erzwungene Verkäufe durch Regulatoren kommen inzwischen vor. So ordnete die britische Wettbewerbsbehörde CMA 2022 an, dass Meta (Facebook) die gerade erst erworbene GIF-Plattform Giphy wieder verkaufen muss. Es war das erste Mal, dass eine Übernahme durch einen Tech-Giganten im Nachhinein rückgängig gemacht wurde – ein deutliches Signal für die verschärfte Gangart der Behörden. Zwar handelte es sich bei Giphy um einen vergleichsweise kleinen Zukauf (Facebook hatte rund 400 Millionen $ gezahlt), doch der Schritt zeigt: Regulierer scheuen sich nicht mehr davor, Desinvestitionen zu verlangen, um wettbewerbswidrige Zustände zu beheben.

Im Fall von Google Chrome hätte ein erzwungener Verkauf freilich eine weit größere Tragweite als der Verkauf von Giphy. Dennoch dienen solche Beispiele als Kontext, dass strukturelle Eingriffe heute wieder wahrscheinlicher geworden sind, nachdem sie lange Zeit in der Tech-Branche undenkbar schienen.

In der öffentlichen Diskussion werden immer wieder mögliche Aufspaltungen von Tech-Konzernen gefordert – sei es die Trennung von Instagram und WhatsApp von Facebook/Meta oder die Entflechtung von Amazons Marktplatz und Cloud-Sparte. Bisher blieben diese Ideen meist theoretisch. Der Chrome-Fall ist daher besonders aufmerksamkeitsstark: Er könnte zum Präzedenzfall werden, wie weit die Regulierung bei Big Tech gehen kann. Gleichzeitig erinnert er daran, dass marktbeherrschende Stellung nicht unveränderlich ist – politische und rechtliche Entwicklungen können auch etablierte Strukturen aufbrechen.

Frank