Mehrwertsteuerbetrug bei vereinfachten EU-Zollverfahren: Rechnungshof sieht erhebliche Risiken
Ein aktueller Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofs zeigt gravierende Schwächen bei der Anwendung vereinfachter Zollverfahren innerhalb der Europäischen Union. Demnach sind insbesondere die finanziellen Interessen der EU und die Integrität des Binnenmarkts gefährdet, da diese Verfahren anfällig für Mehrwertsteuerbetrug sind. Die Prüfung offenbart Mängel sowohl auf Seiten der nationalen Zoll- und Steuerbehörden als auch bei der Koordination auf europäischer Ebene.
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Lückenhafte Kontrollen und unzureichende Zusammenarbeit
Waren, die in die EU-Zollunion eingeführt werden, unterliegen grundsätzlich der Mehrwertsteuerpflicht. Die Steuer wird auf Basis der Zollanmeldung berechnet. Kommt es hierbei zu Missbrauch, entsteht ein doppelter Schaden: Zum einen entgehen der EU und den Mitgliedstaaten durch den Mehrwertsteuerbetrug erhebliche Steuereinnahmen, zum anderen wird der Wettbewerb im Binnenmarkt verzerrt. Laut dem Rechnungshof fehlt es an effektiven Kontrollmechanismen, insbesondere bei vereinfachten Einfuhrverfahren. Auch die Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten sowie der Austausch relevanter Daten lassen stark zu wünschen übrig.
Schwächen im rechtlichen Rahmen
Die Prüfer stellten fest, dass bestehende EU-Vorschriften zu vereinfachten Zollverfahren zahlreiche Schlupflöcher enthalten. Die Rolle sogenannter Steuervertreter ist beispielsweise nicht EU-weit einheitlich geregelt. Außerdem gibt es Differenzen bei der Handhabung ungültiger Mehrwertsteuer-Identifikationsnummern. In mehreren Fällen konnte trotz eines Verstoßes gegen MwSt-Vorschriften weiterhin am Zollverfahren teilgenommen werden. Zudem stimmt der Status der MwSt-Nummern nicht immer mit dem der EORI-Nummern überein, was die Gefahr von Missbrauch weiter erhöht.
Unterschiedliche Sanktionen und fehlende Standards
Die Prüfer kritisieren, dass die Strafen für Verstöße in den Mitgliedstaaten stark variieren. Einheitliche Standards fehlen, was betrügerisches Verhalten zusätzlich begünstigt. Auch die EU-Kommission kontrolliert die Anwendung der Vorschriften nach Einschätzung des Rechnungshofs nur lückenhaft. Der Rechnungshof fordert daher einheitliche Regeln und ihre konsequente Umsetzung.
Konkrete Mängel bei der Importüberwachung
Bei der Analyse einer Stichprobe importierter Waren wurden erhebliche Mehrwertsteuerausfälle festgestellt. In vielen Fällen ließ sich nicht nachweisen, dass die eingeführten Waren tatsächlich in einen anderen Mitgliedstaat weitertransportiert wurden – eine Voraussetzung für eine MwSt-Befreiung im Rahmen bestimmter Verfahren. Die Prüfer sprechen sich daher für eine Verpflichtung zur Vorlage von Beförderungsnachweisen aus.
Zudem wurden Fälle von systematischer Unterbewertung importierter Waren festgestellt, um die Steuerlast zu senken. Besonders betroffen waren Smartphones, Bekleidung, Schuhe und Schmuck. Die Prüfer bemängeln, dass der Abgleich zwischen Zollwert und späterem Verkaufspreis kaum möglich ist, da die Datenlage unzureichend ist.
Zwei Verfahren besonders anfällig für Mehrwertsteuerbetrug
Nach Einschätzung des Rechnungshofs sind vor allem zwei vereinfachte Verfahren mit erhöhtem Missbrauchsrisiko für Mehrwertsteuerbetrug verbunden.
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- Zollverfahren 42: Dieses ermöglicht eine MwSt-Befreiung bei der Einfuhr von Waren aus Drittländern, die in einem EU-Staat eingeführt, aber in einem anderen verkauft werden sollen.
- Import One Stop Shop (IOSS): Hierbei handelt es sich um ein Verfahren zur MwSt-Befreiung für elektronisch gehandelte Waren mit Ursprung in Drittländern.
Die EU-Kommission schätzt, dass im Zeitraum 2021 bis 2023 Waren im Wert von rund 260 Milliarden Euro über diese beiden Verfahren importiert wurden.
Mangelhafte Umsetzung früherer Empfehlungen
Trotz früherer Hinweise auf Missstände durch den Rechnungshof sind viele Probleme weiterhin ungelöst. Vor allem der Austausch von Daten zwischen Zoll- und Steuerbehörden sowie zwischen den Mitgliedstaaten sei weiterhin unzureichend. Ohne umfassende Transparenz und standardisierte Prozesse bleibt das Risiko für Mehrwertsteuerbetrug hoch.
Geplante Gesetzesinitiativen könnten einige der bestehenden Schwächen beheben, doch selbst mit deren Umsetzung bleibt laut Rechnungshof ein erhebliches Restrisiko bestehen.