Berater oder Lobbyist? Günther Oettinger arbeitet jetzt für umstrittenen Modehändler Shein
Der frühere EU-Kommissar Günther Oettinger hat eine neue Rolle als Berater für den international stark kritisierten Onlinemodehändler Shein übernommen. Das Unternehmen aus Singapur, das ursprünglich in China gegründet wurde, steht im Zentrum von Kontroversen und regulatorischen Herausforderungen in Europa. Oettinger soll Shein helfen, sich im komplexen politischen Umfeld der EU zu orientieren – ein Schritt, der Fragen aufwirft und Kritik hervorruft.
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Shein und die wachsende Kritik in Europa
Shein, bekannt für sein Geschäftsmodell der „Ultra Fast Fashion“, bringt täglich neue Designs auf den Markt, was das Unternehmen zu einem Marktführer in der Modebranche gemacht hat. Gleichzeitig gerät Shein zunehmend unter Beschuss, nicht nur wegen seiner extrem niedrigen Preise, sondern auch wegen seiner fragwürdigen Geschäftspraktiken. Umweltorganisationen wie Greenpeace haben in 15 Prozent der getesteten Artikel gefährliche Chemikalien gefunden, die gegen EU-Grenzwerte verstoßen. Zudem steht das Unternehmen im Verdacht, Baumwolle aus Zwangsarbeit in der chinesischen Region Xinjiang zu verwenden, was es jedoch vehement abstreitet.
Shein sieht sich auch dem Vorwurf ausgesetzt, durch das direkte Versenden von Waren aus China an europäische Kunden Importzölle zu umgehen, was zu einer Verzerrung des Marktes führt. Diese Praxis hat die EU dazu veranlasst, mögliche Einfuhrzölle auf Billigwaren von Unternehmen wie Shein zu erwägen. Der Verbraucherzentrale Bundesverband kritisierte darüber hinaus die manipulativen Designs auf der Shein-Website, die darauf abzielen, Konsumenten zu Käufen zu drängen.
Oettingers Rolle: Berater oder Lobbyist?
Günther Oettinger, der von 2005 bis 2010 Ministerpräsident von Baden-Württemberg war und anschließend neun Jahre lang als EU-Kommissar tätig war, hat bestätigt, dass er als freier Berater für Shein engagiert wurde. Sein Mandat sei auf die Bereiche Cybersicherheit, Datenschutz und Geopolitik begrenzt. Trotz dieser Einschränkungen wirft seine neue Rolle Fragen auf, insbesondere im Hinblick auf mögliche Interessenkonflikte und die Nähe eines ehemaligen EU-Beamten zu einem Unternehmen, das sich derzeit im Visier der Europäischen Kommission befindet.
Oettinger betont zwar, dass er kein Lobbyist für Shein sei, doch seine Beratertätigkeit könnte genau in diese Richtung interpretiert werden. Kritiker befürchten, dass Oettingers Engagement dazu dienen könnte, das Image von Shein aufzupolieren und dem Unternehmen zu helfen, regulatorische Herausforderungen in der EU zu umgehen, anstatt sich ernsthaft mit den vorgebrachten Kritikpunkten auseinanderzusetzen.
Sheins umstrittene Pläne für einen Börsengang
Shein plant, in Europa an die Börse zu gehen, wobei London als bevorzugter Standort gilt. Angesichts der zahlreichen Kontroversen um das Unternehmen wird dieser Schritt von vielen skeptisch betrachtet. Oettingers Beratung könnte als Versuch gewertet werden, die Marktchancen von Shein in Europa zu verbessern, während grundlegende ethische und rechtliche Bedenken weiterhin bestehen bleiben.
Für Oettinger, der über tiefgreifende Kenntnisse der EU-Politik verfügt, könnte diese Beratertätigkeit kurzfristige Vorteile bringen. Langfristig jedoch riskiert er, seinen Ruf als ehemaliger hochrangiger EU-Beamter zu beschädigen, indem er einem Unternehmen zur Seite steht, das im Verdacht steht, gegen ethische Standards und gesetzliche Vorschriften zu verstoßen.
Ein umstrittener Schachzug
Günther Oettingers Entscheidung, für Shein als Berater tätig zu werden, ist zweifellos brisant und wirft Fragen über die Rolle von Ex-Politikern in der Wirtschaft auf. Während seine Expertise für Shein von Nutzen sein könnte, bleibt unklar, ob dies wirklich zu einer Verbesserung der Geschäftspraktiken des Unternehmens führen wird – oder ob es lediglich ein Versuch ist, regulatorische Hürden zu überwinden, ohne die zugrunde liegenden Probleme anzugehen.