Erster E-Commerce-Atlas für Deutschland veröffentlicht – Wo steht der Onlinehandel in Ost und West?

Der digitale Handel in Deutschland unterliegt erheblichen regionalen Struktur- und Wachstumsunterschieden, die dazu führen, dass insbesondere ostdeutsche Unternehmen die Chancen des E-Commerce nicht voll ausschöpfen. Das ist das Ergebnis des „E-Commerce-Atlas Deutschland“, einer bislang einzigartigen Untersuchung von ibi research an der Universität Regensburg, Amazon Deutschland und dem Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland e. V. (bevh). Der Atlas kartografiert erstmals den Onlinehandel in Gesamtdeutschland auf Basis wirtschaftlicher Fundamentaldaten und Umfragen zu E-Commerce-Aktivitäten, wirtschaftlichen Strukturunterschieden sowie regionalen Rahmenbedingungen von Handelsunternehmen.

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Erster E-Commerce-Atlas für Deutschland veröffentlicht – Wo steht der Onlinehandel in Ost und West?. ©Depositphotos

Die Digitalisierung als Wachstumsmotor des gesamten Handels wird demnach in Deutschland sehr unterschiedlich genutzt. Gemessen an ihrer regionalen Verteilung sitzen die meisten Unternehmen in Nordrhein-Westfalen (22 Prozent) und Bayern (17 Prozent), während gerade einmal 1,75 Prozent aller Onlinehändler aus Thüringen und nur 1,0 Prozent aus Mecklenburg-Vorpommern kommen. Weit auseinander geht auch die wirtschaftliche Stärke der Unternehmen: Westdeutsche Onlinehändler erzielen einen durchschnittlichen Jahresumsatz von 29,39 Mio. Euro, in Ostdeutschland sind es gerade einmal 6,37 Mio. Euro. Im Mittel sind bei westdeutschen Onlinehändlern 29 Personen beschäftigt, in Ostdeutschland sind es 13 Personen.

„Der E-Commerce-Atlas gibt erstmals einen Überblick über die Verteilung der Onlinehändler in Deutschland. Dabei analysiert er sehr deutlich die regionalen Unterschiede und zeigt auf, welche ‚Hebel‘ betätigt werden müssen, um die Entwicklung des Onlinehandels auch zukünftig erfolgreich zu gestalten“, erläutert Dr. Georg Wittmann, Geschäftsführer von ibi research.

Abbildung: Verteilung der Gründungen von heutigen deutschen E-Commerce-Unternehmen in den Jahren 1981 bis 2021
Lesebeispiel: Von allen ostdeutschen Unternehmen im E-Commerce, die in den Jahren von 1981 bis 2021 gegründet wurden, entfallen 3,8 Prozent auf das Jahr 2004. In Westdeutschland sind es 2,7 Prozent.­­­­ ©bevh

„Deutschlands Regionen erschließen die Potentiale der Digitalisierung höchst unterschiedlich. Das ist dramatisch, weil die Digitalisierung gerade strukturschwachen Gegenden die Chance bieten sollte, wirtschaftlich aufzuholen. Obwohl das Internet 1990 und damit im Jahr der Wiedervereinigung erfunden wurde und die Unternehmen im Osten wie im Westen technisch bei null anfingen, scheint der Erfolg heute sehr ungleich verteilt“, erklärt Martin Groß-Albenhausen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des bevh.

Marktplätze beschleunigen digitalen Wandel

Neben rund 100.000 Unternehmen, die gemäß ihrer Branchenzuordnung oder der Nutzung eigener Webshops als Onlinehändler identifiziert werden können, erhebt die Studie auch Kennzahlen von mehr als 10.000 Unternehmen, die ihre Produkte über die Marktplätze Amazon, eBay, Otto und bzw. oder Kaufland vertreiben. Die Auswertung der Strukturdaten legt die Vermutung nahe, dass Marktplätze wichtige Beschleuniger der Digitalisierung im Handel sind. Der Umsatz von Marktplatz-Händlern ist – bei Betrachtung des Medians – mit zwei Mio. Euro höher als der Median aller deutschen Onlinehändler, der etwas mehr als eine Mio. Euro beträgt. Die durchschnittliche Anzahl der Mitarbeiter von Unternehmen, die über mindestens einen Marktplatz verkaufen, liegt bei 31,1 – das Mittel aller Unternehmen im E-Commerce hingegen bei 27,1. Nur 17,8 Prozent aller Marktplatzhändler weisen eine negative Eigenkapitalquote aus, bei allen Unternehmen im E-Commerce sind es 19,8 Prozent.

Besonders während der Corona-Pandemie haben zahlreiche kleine Händler und Hersteller mit dem Verkauf über Plattformen begonnen. Viele Anbieter von Markplätzen haben dies auch durch einen zeitlich beschränkten Verzicht auf Provisionen unterstützt. Als weitere Gründe werden von den Marktplatzhändlern immer wieder die hohe Kundenfrequenz, die Möglichkeit, vergleichsweise einfach in ausländische Märkte zu verkaufen oder die Nutzung weiterer Leistungen wie Logistik-, Marketing- oder Payment-Services genannt.

Markus Schöberl, Director Seller Services Amazon Deutschland sagt dazu: „Ich halte die Erkenntnisse dieser Studie für sehr wichtig, denn sie verdeutlichen aus meiner Sicht einen Nachholbedarf bei der Förderung von kleinen und mittleren Onlinehändlern im Osten Deutschlands. Nur wenn im gesamten Land zumindest ähnliche Rahmenbedingungen für Gründungen und Wachstum gewährleistet sind, können die Vorteile des E-Commerce allen Unternehmern und Kunden zugutekommen.“

bevh fordert Stärkung von E-Commerce-Ökosystemen

„Digitalisierung zu fördern, ist die wichtigste Maßnahme, die wir politisch ergreifen können, um den Handel aktiv zu stärken“, so Martin Groß-Albenhausen. Die Studie zeige daher konkrete Stellschrauben, mit denen die Grundlagen für ein lokales E-Commerce-Ökosystem geschaffen werden können. Dazu gehören:

  • Linderung des Fachkräftemangels durch mehr relevante Ausbildungs- und Studienangebote
  • Ausbau der Infrastruktur im Bereich des Nahverkehrs, damit mehr Fachkräfte auch in ländlichen Regionen arbeiten
  • Bessere Breitbandversorgung sowie Weiterentwicklung von E-Government-Angeboten
  • Abbau einer überbordenden Bürokratie
  • Vereinfachung des Zugangs zu Förderprogrammen
  • Mehr politische Unterstützung und Anerkennung des E-Commerce als Verkaufskanal
  • Anpassung rechtlicher Anforderungen an Geschäftsmodelle des Onlinehandels
  • Unterstützung der Digitalisierung von Handelsunternehmen über Marktplätze und Plattformen

Diese Ansätze gelten zwar für Gesamtdeutschland, sind aber für die neuen Bundesländer aufgrund der vorhandenen Strukturschwächen besonders drängend. Nur so können die dort vorhandenen Potentiale verwirklicht werden.

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