Neue Wege zum Kunden: BearingPoint und das IIHD Institut untersuchen Wachstumschancen des Direktvertriebs

Nicht nur Startups wie der Matratzenanbieter Bett1, Emma oder Casper, sondern auch etablierte Hersteller wie PepsiCo, L’Oréal oder Adidas suchen und beschreiten neue Wege zum Kunden. Unter Ausschaltung von Handelsunternehmen zielen zahlreiche Herstellerunternehmen darauf ab, sich die Kundenbeziehung zu eigen zu machen, um so neue Wachstumschancen zu erschließen und Kundenwissen für noch erfolgreichere Produkte zu sammeln. Weltweit existieren ca. 25.000 dieser Direct-to-Consumer-(D2C) Marken. Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland ca. 1.000 D2C-Marken von 400 Unternehmen in mehr als 60 Warenkategorien vertrieben werden. Die Management- und Technologieberatung BearingPoint und das IIHD Institut untersuchen in ihrer neuesten Studie die Wachstumschancen von Konsumunternehmen durch neue Geschäftsmodelle des Direktvertriebs an Endkunden und wie sie Transformationshürden erfolgreich bewältigen können.

BearingPoint Grafik D2C Geschaft
So gelingt der Einstieg ins D2C-Geschäft. ©BearingPoint

Superdigitalisierung und zunehmende Nutzung mobiler Endgeräte treibt Wachstum von Direct-to-Consumer-Geschäftsmodellen

Die durch COVID-19 ausgelöste Superdigitalisierung treibt das Wachstum im Direktvertrieb an. So ist der Online-Handel in Deutschland 2021 um 19 Prozent gewachsen und lag damit mehr als sechs Prozent über dem Wachstumsdurchschnitt der letzten drei Jahre. Inzwischen umfasst der deutsche Online-Markt knapp 100 Milliarden Euro. Davon wurden 2021 bereits 40 Prozent des Umsatzes über mobile Endgeräte generiert (2019: 31 Prozent). Prof. Dr. Jörg Funder, Geschäftsführender Direktor des IIHD Institut, schätzt die Größe des deutschen D2C-Marktes bereits auf 17 Milliarden Euro – Tendenz weiter steigend. „Gerade jüngere Zielgruppen kaufen gerne direkt bei Markenherstellern“, so Funder. „Für Gen Z-Kunden im Alter von 18-24 Jahren, die sich durch eine hohe Markenaffinität auszeichnen, sind Vertrauen und Sicherheit des Direktkaufs wichtig. Dahingegen bevorzugt die Kundengruppe Gen Y im Alter von 25-34 Jahren, die häufig hohe Qualität von Direktmarken bei erschwinglichen Preisen“, begründet der Handelsstratege das rasche Wachstum des D2C-Segments. Dabei sind diese Kundengruppen auch deutlich anspruchsvoller, wie die achte NEWretail-Veröffentlichung von BearingPoint und IIHD ausführt.

D2C-Kunden erwarten einen deutlich differenzierten Mehrwert, seien es personalisierte Angebote, individuelle Rabatte oder ein besseres Einkaufserlebnis. Dafür sind Kunden allerdings auch bereit, Informationen über sich und ihr Einkaufsverhalten preiszugeben. Und genau darin haben Hersteller einen Hebelpunkt zur Differenzierung ihrer Marken im Wettbewerb ausgemacht. Mithilfe dieser Daten lassen sich Produkte noch passgenauer auf die Bedürfnisse der Kunden entwickeln, sich Entwicklungskosten senken und Fehlentwicklungen reduzieren, Margen steigern und maßgeschneiderte Lösungen entwickeln, Marken verlängern und sich so zusätzliche Umsatzpotenziale erschließen.

Typische Eigenschaften von D2C-Marken

D2C-Brands finden sich in fast allen Kategorien. Insbesondere in den Kategorien Textil, Accessoires und Schuhe, Nahrungs- und Genussmittel, Möbel, Consumer Electronics, Beauty und Wellness sind D2C-Marken besonders häufig vertreten. Diese Kategorien haben gemeinsam, dass sie ein hohes Potenzial zur Personalisierung, stabile Konsummuster und eine hohe Markenrelevanz aufweisen. D2C-Marken, die sich durch überdurchschnittlichen Umsatz und Ertrag kennzeichnen, differenzieren sich entlang von vier zentralen Werteversprechen (Abbildung 1). Dabei sind die Werteversprechen zwar generell in den allermeisten Kategorien anwendbar – es fällt jedoch auf, dass sich einzelne Werteversprechen in einigen Kategorien besonders häufig wiederfinden.

Dabei ist es insbesondere der bedingungslose Fokus auf den Kunden und die zielgerichtete Interaktion mit diesen, welche die D2C-Marken von klassischen Direktvertriebsmarken wie Tupperware, Vorwerk oder Mary Kay Cosmetics unterscheidet. Klassische Direktvertriebsmarken verkaufen ihre Produkte zwar ohne Handelsintermediär, entwickeln ihre Produkte jedoch in gewissem Maß unabhängig von ihren Kunden. Demgegenüber entwickeln D2C-Marken ihre Produkte in einem agilen, von Kundenwünschen und -informationen getriebenen Prozess, stehen mit den eigenen Kunden kontinuierlich im Austausch und haben strukturierte Kennzahlen, Prozesse und digitale Tools etabliert, die ihnen dies ermöglichen.

Direct-to-Consumer ist kein Nebengeschäft

Um diese neuen Wachstumschancen zu erschließen, müssen sich Hersteller allerdings gänzlich neu aufstellen. Es reicht nicht, vorhandene Produkte nur zusätzlich online im eigenen Webshop anzubieten.

Kay Manke, Partner bei BearingPoint und Retail-Experte, unterstreicht: „Direct-to-Consumer ist kein Nebengeschäft, sondern beinhaltet für etablierte Unternehmen nicht weniger als die digitale Transformation des Geschäftsmodells mit eindeutigen Schwerpunkten auf der Etablierung agiler Teams, digitaler Denkweisen und einem konsequenten Fokus auf den Kunden. Gleichzeitig müssen potenzielle Interessenskonflikte mit bestehenden Handelspartnern gelöst, Kooperationen mit neuen (Technologie-) Partnern geschlossen und neue D2C-Vertriebskanäle in bestehende Vertriebs- und Marketingaktivitäten, Prozesse und IT-Strukturen integriert werden. Auch neue Marketingkonzepte sowie Strategien zur Sammlung und Auswertung von Kundendaten müssen entwickelt werden.“

Entsprechend sei die Umstellung auf ein reines D2C-Geschäftsmodell für die allerwenigsten Herstellermarken tatsächlich lohnend. Fehlende Kompetenzen zur Steuerung der Lieferkette, dem Management von Kunden-Communities, des Performance Marketing oder noch zu nicht erschlossene Entwicklungspotenziale im Bereich Predictive Analytics, machen es etablierten Unternehmen schwer, das Erfolgsmodell junger Digital-First Brands zu kopieren. Stattdessen müssen sich etablierte Unternehmen laut Studie von den Mühlsteinen ihrer Vergangenheit befreien und eine individuelle Strategie erarbeiten (Abbildung 2). Am einfachsten gelingt der Einstieg ins D2C-Geschäft dabei über ein klassisches Outsourcing, z.B. an bereits im D2C-Geschäft aktive Agenturen, Service Provider und Start-Ups. Diese ersten Schritte lassen sich über die Akquisition von Beteiligungen im B2C-Segment und dem Aufbau von Segmentübergreifenden Innovation-Hubs bis hin zum Aufbau zentraler Fähigkeiten in den eigentlichen operativen Einheiten skalieren.

BearingPoint