Der diffuse Begriff der Kundenzentrierung
Nach einer Ära der Kundenorientierung der letzten 20 Jahre sind die Schlagworte im derzeitigen Kundenbeziehungsmanagement eher die Optimierung der Kundenkontaktpunkte (Customer Experience) und die Customer Centricity, also die komplette Ausrichtung des Unternehmens am Kunden. Der Anspruch des eCommerce-Giganten Amazon, das kundenzentrierteste Unternehmen der Welt zu sein, wurde anfangs eher belächelt. Nach dem rasanten Wachstum des letzten Jahrzehnts und spätestens seit der schlagartigen Erhöhung der Umsatzrentabilität von Amazon, wurde der Begriff der Kundenzentrierung zum Synonym für rentables Wachstum.
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„Die gelebte Kundenzentrierung ist in den Unternehmen weit vom Anspruch entfernt, sich ganzheitlich um die Kundenbeziehung zu kümmern und das Unternehmen ausgehend von der strategischen Ausrichtung, über die Organisation, Kundenprozesse, Kundendatenhaltung bis hin zum operativen Marketing gleichzeitig Kundenwert-getrieben zu steuern“, betont Prof. Dr. Andreas Krämer, CEO der exeo Strategic Consulting AG, Co-Autor der Studie OpinionTRAIN und Mitautor des kürzlich erschienenen Fachbuchs „Kundenwertzentriertes Management“ (Springer).
Kundenzentrierung: Für viele Verbraucher diffus, aber auch für viele Manager
In der aktuellen Untersuchungswelle der Studie OpinionTRAIN (Mrz./Apr. 2022) wurde das Verständnis zum Thema Kundenzentrierung aus Sicht von Beschäftigten und Entscheidern im Unternehmen (Personen mit Leitungsfunktion) untersucht. Etwa zwei Drittel der Entscheider im Unternehmen bezeichnen ihr Unternehmen als kundenzentriert. Bei den Beschäftigten ohne Leitungsfunktion sind dies 54 %. Dabei wird der Begriff sehr unterschiedlich erklärt und dieses Bild ist auch relativ diffus. Fast ein Drittel der Beschäftigten ist nicht in der Lage zu beschreiben, was sie konkret mit Kundenzentrierung verbinden. Bei den offenen Nennungen kristallisieren sich die Bereiche „Kundenwünsche erkennen / Bedürfnisse erfüllen“ oder „die Erfahrung eines besonderen Kundenservices“ als Top-Themen heraus. Etwa jeder achte Entscheider sieht Kundenzentrierung übergreifend und verbindet damit, den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen und sämtliche Aktivitäten danach auszurichten.
Hotels und Supermärkte werden als führend bei der Kundenorientierung wahrgenommen
In einem weiteren Schritt wurden Branchen gestützt dahingehend bewertet, wie kundenorientiert diese aus Sicht der Befragten agieren. Die Studienteilnehmer ordnen dabei Hotels (38 %), Supermärkte (35 %), Versicherungen (32 %) und Banken (31 %) am ehesten als kundenorientiert ein. Im Vergleich zu Discountern (26 %) werden Supermärkte deutlich positiver wahrgenommen. Im Ranking bilden Verkehrsverbünde des Wohnorts (12 %), die Verlagsbranche (12 %) und der eCommerce (10 %) die Schlusslichter. Von 12 gelisteten Branchen werden im Mittel weniger als 3 als kundenorientiert eingestuft (d.h. Kunden wird stärker zugehört, auf Kundenbedürfnisse wird schneller eingegangen etc.). Die Vermutung, die Bewertung der Kundenorientierung sei direkt durch die Intensität des Kundenkontakts getrieben, lässt sich nicht grundsätzlich bestätigen. So bewerten Intensivnutzer der Bahn den Bahnfernverkehr deutlich positiver in punkto Kundenorientierung als Low-User oder Nichtkunden, während dieser Zusammenhang für den ÖPNV nicht klar erkennbar ist.
Lebensmittelhandel: Im Ranking der wichtigsten Einkaufsorte führen Rewe und Edeka vor Lidl und Aldi
Die Relevanz der Kundenorientierung für die Wettbewerbsfähigkeit der Anbieter wurde am Beispiel des Lebensmitteleinzelhandels näher untersucht, wobei sich die Befragten eingangs für den am stärksten frequentierten Händler entscheiden mussten. Im Ranking der häufigsten Einkaufsorte für Lebensmittel führen Rewe (20 %) und Edeka (19 %) leicht vor Lidl (18%) und Aldi (15 %). Dabei gilt für alle vier Anbieter, dass die Verbraucher aktuell sehr stark Preissteigerungen wahrnehmen. Die Zustimmung zur Aussage „Ich habe den Eindruck, dass die Preise für Lebensmittel heute deutlich höher sind als vor Ausbruch der Corona-Krise“ erreicht ein durchgängig hohes Niveau, wobei die Bandbreite von 79 % (Rewe) bis 85 % (Aldi) reicht. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Konsumenten Preissteigerungen nicht primär einem Händler(typ) zuordnen, sondern diese „flächendeckend“ im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) sehen.
Erhebliche Unterschiede in der Bewertung der Discounter – nicht nur in punkto Kundenorientierung
Während die führendenden Anbieter Rewe und Edeka ein relativ ähnliches Urteil durch ihre Stammkunden erhalten, sind die Bewertungen im Segment der Discounter unterschiedlich. Dies zeigt sich bereits bei der Gesamtzufriedenheit: Die Zufriedenheit mit dem Händler ist bei den Discountern Netto (74 %) und Penny (76 %) geringer als bei den Wettbewerbern. Bei der Weiterempfehlungsabsicht erreicht Lidl (85 %) das höchste und Netto (64 %) das geringste Niveau. Auch die Kundenorientierung wird von den LEH-Stammkunden sehr unterschiedlich wahrgenommen. Während 64 % der Lidl-Kunden ihren Händler als kundenorientiert einstufen (Aldi kommt auf 60 %), fallen die Discounter Netto (48 %) und Penny (33 %) deutlich ab.
Die Bewertung der Discounter offenbart somit erhebliche Unterschiede – auch bei der Kundenorientierung – zwischen Lidl und Aldi auf der einen und Netto und Penny auf der anderen Seite. Damit korrespondieren auch die Wachstumsmöglichkeiten unter den stark veränderten Rahmenbedingungen (extrem hohe Inflation, gedämpfte Konsumstimmung).
„Die Ergebnisse dieser Studie machen deutlich, dass nicht die Kundenzentrierung, sondern die Kundenwertzentrierung das eigentliche Fokusthema sein sollte. Diese stellt den Wert in das Zentrum der Betrachtung, und zwar den Wert, den die Kunden empfinden und den Wert, den Unternehmen aus der Kundenbeziehung generieren. Einmalig oder regelmäßig durchgeführte Kundenbefragungen bringen einen enormen Mehrwert für Unternehmen mit sich, und zwar in der Abschätzung beider Wertdimensionen“, resümiert Johannes Hercher, Vorstand der Rogator AG und Co-Autor der Studie OpinionTRAIN.
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