Premium oder Schnäppchen: Polarisierung beim Lebensmitteleinkauf nimmt zu
Studie von McKinsey und EuroCommerce: Deutscher Lebensmittelhandel mit leichtem Wachstum in 2021 (+0,9%), Online-Handel wächst um um 14,5%. 44% der Deutschen wollen bei Lebensmitteleinkäufen stärker sparen. Gleichzeitig steigt in Haushalten mit hohem Einkommen die Nachfrage nach gesunden und nachhaltigen Produkten.
Verbraucherpräferenzen bei Lebensmitteleinkäufen werden sich im Jahr 2022 noch stärker nach Einkommen, Alter und Haushaltsgröße unterscheiden. Das ist ein zentrales Ergebnis des Reports “Navigating the Market Headwinds – The State of Grocery Retail 2022” von McKinsey & Company und EuroCommerce. 44% der Deutschen planen, bei Lebensmitteln mehr als bislang sparen zu wollen, bei den Haushalten mit niedrigem Einkommen sind es sogar 55%. Die Preissensibilität der Verbraucher:innen ist im Vergleich zu 2021 in Deutschland sprunghaft angestiegen: im vergangenen Jahr gaben nur 33% der Befragten an, sparen zu wollen.
„Wenn die Inflation hoch bleibt oder weiter steigt, werden sich Verbraucher:innen häufiger für günstigere Produkte entscheiden und aktiv nach Sonderangeboten suchen. Gleichzeitig steigen ihre Qualitätsansprüche an diese günstigeren Produkte“, sagt Daniel Läubli, Senior Partner bei McKinsey.
Insgesamt 11% der Deutschen wollen mehr Premium-Produkte mit hoher Qualität kaufen als bislang. Dabei sind es vor allem Menschen mit hohem Einkommen, die den Premium-Trend anheizen. In dieser Gruppe geben 24% an, künftig mehr Premium-Produkte kaufen zu wollen. Menschen mit niedrigem Einkommen hingegen planen, weniger oder gar kein Geld für teurere und qualitativ hochwertigere Produkte auszugeben. Auf gesunde Lebensmittel wollen 34% in Zukunft mehr achten als bislang, bei den Haushalten mit hohem Einkommen sind es sogar 43%, bei niedrigen Einkommen nur 28%.
Immer mehr Online-Angebote
Auch im Online-Markt ist einiges in Bewegung: 44% der Befragten geben an, regelmäßig Lebensmittel online zu kaufen. Davon will mehr als die Hälfte in ähnlichem Umfang auch in Zukunft online Lebensmittel kaufen, 12% plant dies sogar häufiger zu tun. „Der Markt wird durch neue Angebote wie Instant Delivery zunehmend fragmentierter und differenzierter. Für Kund:innen ist das gut: Bereits mehr als die Hälfte teilen ihre Online-Einkäufe je nach Angebot, Bedürfnis und Einkommen schon heute auf unterschiedliche Shops auf“, so Läubli.
Fünf zentrale Trends prägen die Lebensmittelbranche
In dem Bericht werden fünf Schlüsseltrends genannt, die die Lebensmittelbranche in diesem Jahr und darüber hinaus prägen werden:
- Wirtschaftlicher Gegenwind drückt auf die Gewinnspannen: Der zunehmende Inflationsdruck, der durch die Invasion der Ukraine noch verschärft wird, wird die Kosten auch für Lebensmittel in die Höhe treiben und die Einkommen der Menschen relativ schrumpfen lassen. Die COVID-19-Gewinne schwinden und die Rückkehr zur Normalität höhlt die Gewinnspannen im Lebensmittelhandel weiter aus. Discounter und Akteure mit wettbewerbsfähigen Einstiegspreisen und Eigenmarkenangeboten sind in der besten Position, um von diesem Trend zu profitieren.
- Höhere Preissensibilität und zunehmende Polarisierung: Die Lebensmittelhändler könnten in Erwägung ziehen, die Mitte ihres Sortiments zu beschneiden und ihre Einstiegs- und Premiumprodukte weiter zu stärken, um den stärker polarisierten Verbraucherpräferenzen gerecht zu werden.
- Langsameres Online-Wachstum mit stärker differenzierten Angeboten: Wie offline bilden sich auch online zunehmend stärker differenzierte Formate für verschiedene Bedürfnisse heraus. Instant Delivery als stark wachsendes Convenience-Format ist das prominenteste Beispiel dafür. Gleichzeitig könnte sich das Online-Wachstum 2022 in vielen Märkten verlangsamen oder für ein Jahr pausieren, was zu einem Verdrängungswettbewerb der Online-Anbieter führen könnte. Langfristig scheinen die Wachstumsaussichten für Online jedoch intakt, bis 2030 wird in allen Ländern inklusive Deutschland ein weiterhin starkes Wachstum erwartet.
- Die Suche nach neuen Gewinnquellen: Da ihr Kerngeschäft unter Druck steht, suchen viele Lebensmitteleinzelhändler nach neuen Gewinnquellen – entweder innerhalb ihres Kerngeschäfts durch Advanced Analytics und künstliche Intelligenz oder außerhalb ihres Kerngeschäfts durch das Erschließen neuer Einnahmequellen (z.B. Verkauf von Werbeflächen basierend auf Kundenkartendaten).
- Talent wird zum Engpass: Für 39 % der CEOs von Lebensmittelgeschäften in Europa ist die Rekrutierung von Talenten eine der größten Herausforderungen. Die Mitarbeiterfluktuation im Lebensmitteleinzelhandel hat im vergangenen Jahr weltweit weiter zugenommen, während gleichzeitig die Nachfrage nach neuen Qualifikationen, vor allem aufgrund von Automatisierung, Analytik und E-Commerce steigt.
Allen fünf Schlüsseltrends gemein ist der zunehmende Margendruck auf den Lebensmitteleinzelhandel aufgrund der gestiegenen Anforderungen der Verbraucher, des wachsenden Preisdruck und der zunehmende Komplexität der verschiedenen Vertriebskanäle.
„Nachdem die europäischen Lebensmittelhändler die Pandemie gut überstanden haben, steht ihnen ein schwieriges Jahr bevor. Inflationsdruck, Preissensibilität und verstärkter Wettbewerb werden viele der positiven Trends, die sie erlebt haben, umkehren. Andererseits bieten diese Veränderungen auch Chancen für die Lebensmitteleinzelhändler, die mutige Maßnahmen ergreifen und weiterhin in ein gutes Eigenmarken- und Online-Angebot, neue Gewinnquellen, gesunde und nachhaltige Produkte sowie in Talente investieren“, sagt Daniel Läubli, Senior Partner bei McKinsey.
Diese Trends sind nicht nur deutschlandweit, sondern im Markt in ganz Europa zu beobachten. Sie dürften sich durch die Invasion der Ukraine noch verstärken, da sich die Invasion sowohl auf das Verbrauchervertrauen als auch auf die erwartete Inflation auswirkt.