Modeindustrie auf Erholungskurs: Druck auf Lieferketten größte Herausforderung
Die Globale Modeindustrie stellt sich auf eine Erholung im Jahr 2022 ein, mit Umsätzen, die das Niveau des Jahres 2019 um 3 bis 8% übersteigen könnten. Die stärkste Erholung wird in China und in den USA erwartet – Europa hinkt hinterher. Druck auf die Lieferkette wurde als größte Herausforderung für die Branche ermittelt und drosselt das Tempo der Erholung, da 67% aller Unternehmen im kommenden Jahr mit Preiserhöhungen rechnen. Nachhaltigkeit spielt nach wie vor eine große Rolle für Modeunternehmen und 60% von ihnen erhöhen ihre Investitionen in Closed-Loop-Recycling-Lösungen, um die Auswirkungen auf die Umwelt zu mindern. 32% der Führungskräfte in diesem Industrie sehen die Digitalisierung als größten potenziellen Wachstumstreiber, gefolgt von Nachhaltigkeit (12%).
Nach den verheerenden Auswirkungen der Pandemie wird 2022 ein entscheidendes Jahr für die Modebranche sein, da die Unternehmen versuchen werden, die Erholung einzuleiten und zu wachsen, während sie gleichzeitig mit neuen und bestehenden Herausforderungen kämpfen. Laut dem McKinsey Global Fashion Index (MGFI) meldete die Branche im Jahr 2020 zum ersten Mal seit mindestens einem Jahrzehnt einen negativen ökonomischen Gewinn, was zu einer extrem starken Branchenkonsolidierung in den Jahren 2020 und 2021 führte. In 69% aller Modefirmen – so vielen wie noch nie zuvor – wurde im Jahr 2021 Wert vernichtet: Sie fuhren negative ökonomische Gewinne ein, erreichten neue Tiefstwerte und trugen so zu einer allgemeinen Verschlechterung der gesamten Industrieperformance bei. Der MGFI zeigt jedoch, dass die Erholung der Modeindustrie V-förmig verlaufen könnte, da die Leistung im ersten Halbjahr 2021 auf eine mögliche Rückkehr zu einem positiven ökonomischen Gewinn bis 2022 hindeutet.
Das sind Ergebnisse der State of Fashion 2022-Studie von The Business of Fashion (BoF) und McKinsey & Company. Die Analyse beruht auf exklusiven Interviews mit Führungspersönlichkeiten aus der Branche und einer Umfrage unter mehr als 220 internationalen Führungskräften sowie Expert:innen und bietet eine Perspektive auf das, was die Industrie zu erwarten hat.
Die allgemeine Prognose ist optimistisch. Die weltweiten Umsätze werden das Niveau aus dem Jahr 2019 im kommenden Jahr voraussichtlich um 3 bis 8% übertreffen – dies wäre eine raschere Erholung als noch vor sechs Monaten erwartet. Die McKinsey Fashion Scenarios zeigen, dass das Tempo der Erholung je nach Region unterschiedlich sein wird: Wachstumstreiber werden China und die USA sein, während Europa das Schlusslicht bildet und hinterherhinkt. In China hat die Modeindustrie in allen Segmenten bereits wieder das Umsatzniveau aus der Zeit vor COVID erreicht. Insbesondere das Luxussegment wird bis Ende 2021 voraussichtlich einen Umsatz erzielen, der 70 bis 90% über den Werten von 2019 liegt. Die Verlagerung der geografischen Verteilung des Economic Profits Richtung Osten zeigt sich besonders gut am Beispiel von drei chinesischen Unternehmen, die im McKinsey-Ranking zu den Top-20-Super-Winners in der Branche gehören. Sie weisen das stärkste Marktkapitalisierungswachstum aller Anbieter auf. Das Economic Profit ist eine wichtige Kennzahl, bei der die Kapitalkosten vom erzielten Nettogewinn abgezogen werden, was Rückschlüsse auf den Wertzuwachs der Unternehmen zulässt.
In den USA zeichnet sich ein positiver Trend ab: 43% der US-amerikanischen Konsument:innen geben an, dass sie ihre Ausgaben für Modeartikel im Jahr 2021 steigern werden. Dies hat die COVID-19 US Consumer Pulse Survey von McKinsey ergeben. Trotz einer langsameren Rückkehr zum Umsatzniveau aus der Zeit vor der Pandemie in Europa blicken 67% der Führungskräfte in diesem Markt positiv nach vorn und erwarten für 2022 bessere Handelskonditionen als im Vorjahr.
Digitale Umgebungen werden immer fortschrittlicher und bieten Milliarden von Menschen zunehmend multidimensionale virtuelle Welten. Sie sind zu einem der wichtigsten Kanäle für Modemarken geworden, die die lukrativen jüngeren Verbrauchergruppen ansprechen und für sich gewinnen wollen. Das „Metaverse“ bietet neue Möglichkeiten für eine Ausweitung der Zielgruppe und eine Ertragssteigerung für Modemarken, die ihre digitalen Produkte monetarisieren können, z.B. indem sie Non-fungible Tokens, so genannte NFTs, entwickeln und verkaufen und es Gamern ermöglichen, virtuelle Modeartikel zu erwerben, selbst zu nutzen und mit ihnen zu handeln. Da die Gaming-Industrie auf Wachstumskurs ist und laut Newzoo bis 2024 einen Gesamtwert von 219 Mrd. USD haben könnte, ist klar, dass das Metaversum einen potenziellen Wachstumsbereich für Modeunternehmen darstellt. Auch Social Shopping erlebt einen Aufschwung, und zwar markenübergreifend; 37% der Führungskräfte aus Modeunternehmen nannten Social Commerce als eines von drei Themen, die ihr Geschäft im Jahr 2022 ganz besonders stark beeinflussen werden.
Nachhaltigkeit und insbesondere das Thema Kreislaufwirtschaft und Closed-Loop-Recycling innerhalb des globalen Modesystems sind weitere wichtige Themen, auf die Unternehmen im Jahr 2022 verstärkt ihre Aufmerksamkeit lenken werden. Derzeit werden im globalen Textilmarkt laut Textile Exchange weniger als 10% recycelbare Materialien verwendet; branchenweite Investitionen sind erforderlich, um Closed-Loop-Recycling-Technologien und -Prozesse so auszuweiten, dass sie Unternehmen bei der Verbesserung ihrer Ökobilanz unterstützen können. 68% der Mode-Führungskräfte sind der Meinung, dass der Reifegrad technologischer Lösungen der wichtigste Faktor ist, um die erforderliche Ausweitung von Closed-Loop-Recycling-Lösungen zu ermöglichen. Zwar gaben 60% der befragten Führungskräfte an, dass sie in Closed-Loop-Recycling investiert haben oder zumindest planen, dies im kommenden Jahr zu tun, jedoch müssen dort noch deutliche Fortschritte gemacht werden, wenn dies zum Massenstandard werden soll. Die Einstellung der Unternehmen zum Thema Nachhaltigkeit ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt für die Gewinnung und Bindung talentierter Mitarbeiter:innen. Beschäftigte verlangen heutzutage von ihren Arbeitgebern, dass sie ähnliche Werte wie sie selbst haben und sinnstiftende Arbeitsinhalte bieten. Tatsächlich sagt fast die Hälfte der Beschäftigten (45%), dass sinnstiftende Arbeit bei der Entscheidung für einen Arbeitgeber ein ganz besonders wichtiger Faktor ist.
Obwohl das kommende Jahr vermutlich ein Jahr des Wachstums sein wird, werden viele der möglichen Positiveffekte von den Herausforderungen im Zusammenhang mit der Pandemie und der Weltwirtschaft obsolet gemacht. Besonders Engpässe in der Lieferkette geben der Branche großen Anlass zur Sorge. 87% der Führungskräfte erwarten, dass sich Unterbrechungen der Lieferkette im kommenden Jahr negativ auf ihre Margen auswirken werden. Eine Kombination aus Materialknappheit, Transportengpässen sowie steigenden Transportkosten wird die Inputkosten weiter in die Höhe treiben und das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage verschärfen. Folglich werden Unternehmen gezwungen sein, die Preise für Konsument:innen zu erhöhen, und befürchten, dass dies zu einem langfristigen Problem werden könnte. Tatsächlich erwarten 67% der Führungskräfte in der Modeindustrie im Jahr 2022 einen Anstieg der Einzelhandelspreise von durchschnittlich 3%. 15% von ihnen gehen sogar von Preiserhöhungen von 10% und mehr aus.
Imran Amed, Gründer und CEO von The Business of Fashion: „Nach fast zwei krisengebeutelten Jahren erwartet die globale Modeindustrie nun eine Erholung – eine Prognose, die der Industrie eine gewisse Zuversicht geben und Erleichterung verschaffen dürfte. Allerdings muss sie auch große Herausforderungen in der Lieferkette adressieren, wo steigende Kosten und Logistikengpässe bedeuten, dass der Druck in Form von Preiserhöhungen und Lieferverzögerungen an die Konsument:innen weitergegeben wird. Unternehmen müssen ihre Lieferketten unter die Lupe nehmen und alles dafür tun, sie so flexibel und widerstandsfähig zu machen wie möglich, um gut durch das nächste Jahr zu kommen.“
Achim Berg, Senior Partner und globaler Leiter von Apparel, Fashion & Luxury von McKinsey: „Wir tauchen aus einer der schlimmsten Krisen auf, der die Branche jemals ausgesetzt war. Der Anteil der Wertvernichter bei den börsennotierten Unternehmen wird für das Jahr 2020 auf rekordverdächtige 69% geschätzt. Und die Gewinne der Branche konzentrierten sich weiterhin auf einige wenige Spieler. Daher ist es umso wichtiger, dass sich die Unternehmen 2022 angesichts der sich abzeichnenden Normalisierung fünf großen Themenbereichen widmen: Wachstum und Innovation, Margenkontrolle, Flexibilität und Resilienz, Nachhaltigkeit und Überwindung digitaler Grenzen.”
Anita Balchandani, Partnerin und Leiterin von Apparel, Fashion & Luxury von McKinsey in Großbritannien und in der Region EMEA: „Die Erholung in Europa im Hinblick auf die Ausgaben für Mode- und Luxusartikel hinkt hinter der in den USA und China her – während der europäische Nicht-Luxus-Sektor voraussichtlich 2022 auf das Niveau von 2019 zurückkehren wird, wird das Luxussegment auf Grund der langsamen Erholung bei Fernreisen vermutlich 5 bis 15% darunter bleiben. Ungeachtet dieser eher gedämpften Erholung in Europa gibt es auch Anlass zu vorsichtigem Optimismus: Immerhin sind 10 der 20 erfolgreichsten Unternehmen im Bereich Mode und Luxusartikel globale Akteure mit europäischen Wurzeln. Auf Angebotsseite ist Europa also nach wie vor eine starke Basis und eine kreative Triebfeder für die Industrie.“
10 PRÄGENDE THEMEN FÜR DIE MODEBRANCHE FÜR 2022:
- Uneven Recovery: Die Erholung von der Pandemie wird je nach Region ganz unterschiedlich ausfallen: Regionen mit stabilem Gesundheitswesen und wirtschaftlicher Widerstandskraft werden besser abschneiden als die anderen. Modefirmen mit internationaler Präsenz müssen die lokalen Gegebenheiten und Konditionen regelmäßig prüfen, um Risiken zu mindern.
○ Etwa 4 von 5 Impfdosen weltweit wurden bis September 2021 in Ländern mit hohem bis höherem mittleren Einkommen verabreicht. - Logistics Gridlock: Druck auf die globalen Lieferketten, steigende Kosten und logistische Engpässe gefährden die Fähigkeit der Industrie, ihre Kund:innen mit Produkten zu beliefern. Unternehmen müssen daher ihre Beschaffungsstrategien überdenken und neue Prozesse im Lieferkettenmanagement einführen, um die Nachfrage im kommenden Jahr decken zu können.
○ Aus Sicht von 49% der Verantwortlichen aus der Modebranche werden Unterbrechungen der Lieferkette im Jahr 2022 besonders gravierende Auswirkungen auf ihr Geschäft haben. - Domestic Luxuries: Eine vollständige Erholung des internationalen Tourismus vor 2023 ist nicht zu erwarten. Um Verluste von internationalen Käufer:innen auszugleichen, sollten sich Luxusmarken stärker auf Konsument:innen im eigenen Land fokussieren, um sich einen größeren Anteil am Inlandsmarkt zu sichern.
– Der Flugverkehr zwischen Asien und Europa wird im Jahr 2022 vermutlich 51% des Niveaus von 2019 ausmachen - Wardrobe Reboot: Loungewear und Sportbekleidung erlebten während der Pandemie einen Boom. Wenn die Welt sich allmählich wieder öffnet und zum Normalzustand zurückkehrt und gesellschaftliche Einschränkungen wegfallen, werden die Verbraucher:innen wieder verstärkt Ausgaben für andere Kategorien tätigen.
– 37% der Führungskräfte aus der Branche gehen davon aus, dass Kleidung für besondere Anlässe eine der drei wichtigsten Kategorien für das Umsatzwachstum im Jahresvergleich sein wird - Metaverse Mindset: Modemarken, die verstärkt das wertvolle Segment jüngerer Verbraucher:innen ansprechen wollen, sollten das Potenzial von Non-fungible Tokens (NFTs), Gaming und Virtual Fashion ausloten, um neue Communities zu schaffen und den Handel zu revolutionieren.
– 81% der Generation Z haben in den letzten sechs Monaten Videospiele gespielt, im Durchschnitt 7,3 Stunden pro Woche - Social Shopping: Fashion Player nutzen Social Commerce, um nahtlose Einkaufserlebnisse, von der Suche nach Informationen bis hin zum Kaufabschluss, zu schaffen. Natürlich unterscheidet sich das Potenzial je nach Markt, aber dennoch sollten alle Unternehmen In-App-Checkout-Lösungen in Erwägung ziehen sowie Live Streaming, Augmented Reality und verwandte Technologien testen.
– 37% der Führungskräfte aus der Modebranche halten Social Commerce für eines der drei wichtigsten Themen, die ihr Geschäft im Jahr 2022 beeinflussen werden - Circular Textiles: Die vermehrte Nutzung von Closed-Loop-Recycling-Lösungen in der Modeindustrie könnte helfen, die Umweltbilanz auf Materialebene zu optimieren. Diese Technologien sind inzwischen schon sehr ausgereift und werden ständig weiterentwickelt. Unternehmen sollten sie also in ihre Produktentwicklung aufnehmen und in großem Stil Sammel- und Sortierprozesse einführen.
– 60% der Führungskräfte aus der Modebranche haben bereits in Closed-Loop-Recycling investiert oder planen dies für das kommende Jahr - Product Passports: Marken nutzen verstärkt Produktpässe, um Informationen mit Verbraucher:innen und ihren Partnern auszutauschen und so für mehr Transparenz, eine verbesserte Authentifizierung und Nachhaltigkeit zu sorgen. Dafür müssten sie sich jedoch auf gemeinsame Standards einigen und zunächst einmal breit angelegte Pilotprojekte durchführen.
– Etwa zwei von fünf Führungskräften in der Modeindustrie planen, im Jahr 2022 Produktpässe einzuführen oder haben dies bereits getan - Cyber Resilience: Unternehmen stehen vor nie dagewesenen Herausforderungen, u.a. Bedrohungen durch Cyberangriffe und missbräuchlicher Umgang mit Daten, um nur einige zu nennen. Daher müssen sie unverzüglich adäquate Schutz- und Abwehrmaßnahmen ergreifen und gezielt investieren, um digitale Sicherheit zu einem oberen strategischen Gebot zu machen.
– 53% der Führungskräfte gehen davon aus, dass ihr Unternehmen im Jahr 2022 wahrscheinlich oder sogar sehr wahrscheinlich Opfer eines kritischen Cyberangriffs sein wird - Talent Crunch: Nach der Pandemie werden sowohl Mitarbeiter:innen aus dem oberen Management als auch aus dem operativen Geschäft ihre Prioritäten überdenken. Wer die besten Talente gewinnen und halten möchte, muss ein flexibles, diverses und vollständig digitalisiertes Arbeitsumfeld schaffen.
– 45% der Mitarbeiter:innen von Modefirmen gaben „sinnstiftende Arbeit“ als einen der Haupteinflussfaktoren für ihre Entscheidung, bei ihrem Arbeitgeber bleiben zu wollen, an