Deutscher Gründerpreis: Millionen digitale Ausweise für Deutschland

Als die Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 das öffentliche Leben zum Erliegen brachte, viele Unternehmen in Not gerieten und in der Folge zahlreiche Menschen ihren Arbeitsplatz verloren, war Hilfe schnell und unbürokratisch notwendig. Dass diese in Millionen Fällen reibungslos und sicher möglich war, dazu hat die Hamburger Nect GmbH mit ihrem „Selfie-Ident“-Verfahren wesentlich beigetragen. Über Nacht wurde es bei der Hamburgischen Investitions- und Förderbank implementiert, um Förderanträge für Corona-Soforthilfen schnell und einfach bearbeiten zu können. Die Bundesagentur für Arbeit hat „Selfie-Ident“ eingeführt, um Anträge auf Arbeitslosengeld schnell bearbeiten zu können.

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Benny Bennet Jürgens (links) und Carlo Ulbrich, Gründer der Nect GmbH, nominiert in der Kategorie Aufsteiger. ©Dirk Bruniecki für Deutscher Gründerpreis 2021

Die Idee, ein eigenes Unternehmen zu gründen, reifte bei Informatiker Benny Bennet Jürgens (35) und Diplom-Kaufmann (FH) Carlo Ulbrich (35) „beim Kinderwagenschieben“. Die Ehefrauen der beiden kennen sich seit der Schulzeit, die beiden Paare sind seit 15 Jahren befreundet und haben inzwischen Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren. Schnell stellten die Väter fest, dass ihre bisherigen beruflichen Erfahrungen eine erfolgversprechende Kombination ergeben: Jürgens hat die App-Entwicklung für einen weltweit agierenden Versicherungskonzern mitinitiiert und anschließend mehrere Jahre verantwortet. Diplom-Kaufmann Ulbrich arbeitete als Vertriebsleiter einer Reederei. Jürgens kam auf die Idee, den sogenannten Aktivierungsbrief zu digitalisieren. Versicherungskunden erhielten einen solchen, wenn sie Zugriff auf das Kundenportal der Versicherung erlangen wollten. „Die Wartezeit und das analoge Anmuten des Prozesses sorgten für hohe Unzufriedenheit bei Nutzern und Unternehmen – eine adäquate Alternative gab es nicht“, so Jürgens. Ein Jahr lang haben die beiden die Idee geschliffen und 2016 an einem Accelerator der Versicherungswirtschaft teilgenommen, bis es 2017 mit der Nect GmbH losging: Dank einer Förderung der Stadt Hamburg, dem Seed Investment von Dieter von Holtzbrinck Ventures. Ihre Idee: Identitäten mittels vom Nutzer aufgenommener Videos von Gesicht und Ausweisdokument mit Unterstützung künstlicher Intelligenz zu verifizieren. Für den Nutzer ist das Verfahren schnell und denkbar einfach: Mittels App wird auf dem mobilen Endgerät eine Videoaufnahme vom Ausweis und vom eigenen Gesicht erstellt. Die App führt den Nutzer durch das gesamte Verfahren, prüft dabei die Echtheit des Ausweisdokuments anhand der Sicherheitsmerkmale und die Lebendigkeit des Nutzers anhand der Muskelbewegungen im Gesicht. Der Gang zur Filiale oder lange Wartezeiten beim Videogespräch mit einem Agenten entfallen.

Bei der digitalen Identitätsfeststellung für Krankenkassen ist Nect inzwischen Marktführer, darüber hinaus zählen Versicherungen wie R+V, HUK-COBURG und Nürnberger zu den Kunden, ebenso der ADAC und die Deutsche Telekom. Die Bundesagentur für Arbeit, die das Nect-Verfahren bei der Antragsprüfung auf Arbeitslosengeld einsetzt, ist der größte öffentliche Auftraggeber.

Die Zukunft ihres Unternehmens sehen die beiden Gründer unter anderem im Bankgeschäft, auch die Internationalisierung ist vorgesehen: Die Robo-Ident-Technologie, auf der die Selfie-Ident-App basiert, kann schon jetzt Reisepässe und Identitätskarten aus 180 Ländern verarbeiten. Der nächste Meilenstein steht jedoch bereits für den Frühsommer 2021 an. Vor-Ort-Kontrollen gelten bei der Identitätsfeststellung als Goldstandard. Benny Bennet Jürgens optimistisch: „Wir erwarten die Zertifizierung, dass unsere Technologie nicht nur den Aktivierungsbrief ersetzt, sondern auch offiziell als einer Vor-Ort-Kontrolle gleichwertig angesehen wird.“

Die Finalisten in der Kategorie StartUp, ein- bis maximal dreijährige Unternehmen, die ihre Geschäftsidee besonders erfolgreich am Markt etabliert haben, sind:

  • SoSafe GmbH, Köln: Mit ihrer Trainings- und Sensibilisierungsplattform hilft SoSafe Unternehmen, die Belegschaft als „menschliche Firewall“ zu aktivieren, denn neun von zehn Cyber-Angriffen starten mit dem Faktor Mensch. Größtes Einfallstor für Cyber-Attacken sind nach wie vor Phishing-Mails. Die EU-Agentur für Cybersicherheit spricht von einem coronabedingten Phishing-Mail-Anstieg auf das Siebenfache. Solche Mails zu simulieren ist essenzieller Bestandteil der SoSafe-Lösung.
  • Sympatient GmbH, Hamburg: Zehn Millionen Menschen in Deutschland leiden an Angststörungen. Die Invirto-App von Sympatient könnte mehr als der Hälfte von ihnen helfen. Sie bringt den „Goldstandard der Angsttherapie“, die sogenannte Exposition, aufs Smartphone. Die App kombiniert klassische Therapie mit Virtual Reality und transferiert sie ins Digitale. Das vielversprechende, digitale Medizinprodukt des jungen Unternehmens wird von allen gesetzlichen Krankenkassen erstattet.
  • yuri GmbH, Meckenbeuren: Laborversuche in Schwerelosigkeit einfacher, schneller und kostengünstiger ermöglichen – auf Parabelflügen oder auf der Internationalen Raumstation ISS: Mit einem ausgeklügelten Baukastensystem aus Mini-Laboren hat yuri die „Demokratisierung der Schwerelosigkeit“ zum Geschäftsmodell erklärt. Versuche sind ab 10.000 Euro möglich, zur ISS gehts ab 95.000 Euro. Elf Mal schon absolvierte das Team erfolgreiche Missionen auf die Internationale Raumstation.

In der Kategorie Aufsteiger werden Unternehmen ausgezeichnet, die nicht älter als neun Jahre sind und bereits ein außerordentliches Wachstum erreicht haben. Nominiert sind in diesem Jahr:

  • Hydrogenious LOHC Technologies GmbH, Erlangen: Grüner Wasserstoff ist in vielen Industrien für die Transformation zur Klimaneutralität essenziell, von der Stahlerzeugung bis zur Glasherstellung. Mit Hilfe der von Hydrogenious entwickelten LOHC-Technologie kann grüner Wasserstoff gefahrlos und effizient gelagert und transportiert werden: Das leicht entzündliche Gas wird an ein Öl gebunden, später wird es wieder freigesetzt. Das Öl selbst wird wiederum für die nächste Ladung benutzt.
  • Nect GmbH, Hamburg: Über 3,5 Millionen Identitäten hat die Nect GmbH mit ihrer „Selfie-Ident“-App bereits verifiziert, täglich kommen bis zu 20.000 weitere dazu. Das innovative Verfahren kombiniert Selfie-Videos mit künstlicher Intelligenz, überprüft die Echtheit des Ausweisdokuments anhand der Sicherheitsmerkmale und die Lebendigkeit des Nutzers anhand der Muskelbewegungen im Gesicht. Der Gang zur Postfiliale oder lange Wartezeiten beim Videogespräch mit einem Agenten entfallen.
  • Wildling Shoes GmbH, Engelskirchen: Ein Großteil der Menschen ist wegen einengender Schuhe fußkrank. Wildling hat seinen innovativen Ansatz, Füßen möglichst viel Freiheit zu lassen, kompromisslos und erfolgreich umgesetzt, dafür Fans in aller Welt gewonnen. Der Schuh wurde völlig neu konstruiert, zu den verwendeten Materialen zählt sogar Papier. Mit einer Dicke ab 1,5 Millimeter ermöglicht die Wildling Sohle, den Untergrund wieder aktiv wahrzunehmen und trainiert zudem die Muskulatur.

Die sechs Finalisten erhalten eine individuelle, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Beratung durch die Porsche Consulting. Zudem übernehmen Mitglieder des Kuratoriums des Deutschen Gründerpreises über einen Zeitraum von zwei Jahren Patenschaften für jeden Finalisten und stellen ihr Know-how und ihre Erfahrungen zur Verfügung. Die Unternehmen erhalten außerdem ein Medientraining beim ZDF sowie Zugang zum Netzwerk des Deutschen Gründerpreises.

Vorgeschlagen wurden die Unternehmen durch die rund 300 Experten des Deutschen Gründerpreises. Sie stammen aus renommierten Unternehmen, Technologiezentren, Ministerien, Gründungsinitiativen und der Sparkassen-Finanzgruppe. Die Experten verfügen über jahrelange Erfahrungen mit Unternehmensgründungen und sehr gute Branchenkenntnisse. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie unterstützt den Deutschen Gründerpreis.

Ausführliche Unternehmensporträts der Finalisten und weitere Informationen finden Sie im Internet unter www.deutscher-gruenderpreis.de.