Digital ist besser? Drei Viertel der deutschen Haushalte zahlen für Video-Streaming
Um 20.15 Uhr vor dem Fernsehgerät sitzen, weil dann der Blockbuster startet, über den morgen alle reden werden? Was für Generationen von TV-Zuschauern gängige Praxis war, verschwindet immer mehr aus dem Alltag der deutschen Konsumenten. Zahlreiche Video-on-Demand-Anbieter buhlen um die Bildschirmzeit der Nutzer. Trotz deren kontinuierlich wachsender Beliebtheit ist es noch zu früh für einen Abgesang auf das lineare Fernsehen. Um die Dynamik auf dem Bewegtbildmarkt abzubilden und zu analysieren, hat Deloitte im Mai 2021 für die mittlerweile 15. Ausgabe des Media Consumer Survey 2000 Konsumenten zu ihrer Video-Nutzung befragt.
Das Digitale sorgt für Bewegung im Videomarkt
„Bemerkenswert ist, dass ausschließlich digitale Videoangebote in den vergangenen Monaten ursächlich für die Evolution der Branche waren. Beim linearen Fernsehen ist dagegen Stagnation angesagt“, fasst Klaus Böhm, Leiter des Bereichs Media & Entertainment bei Deloitte, eine Kernbeobachtung der 15. Ausgabe des Media Consumer Survey zusammen. „Die nicht-lineare Video-Nutzung nimmt in Deutschland seit 2015 kontinuierlich zu. Nur noch 27 Prozent der Befragten gaben an, so gut wie gar keine non-linearen Angebote zu nutzen. Dem gegenüber steht ein Anteil von 17 Prozent sogenannter Heavy User, die mehr als die Hälfte ihrer relevanten Bildschirmzeit mit non-linearen Inhalten verbringen. Die Mehrzahl der Konsumenten setzt derzeit allerdings auf eine Mischung aus linear und non-linear.“
Im Vergleich zur Befragung 2019 ist der Anteil an Nutzern, die sowohl lineare als auch non-lineare Formate schauen, um 9 Prozent auf insgesamt 41 Prozent gewachsen. Punkten kann das lineare Fernsehen noch immer mit Live-Übertragungen. Vor allem während der pandemiebedingten Einschränkungen im Sport waren die TV-Live-Übertragungen von Geisterspielen in der Fußball-Bundesliga bei den Fans gefragt. Davon profitierte allerdings neben den Streaming-basierten Sportdiensten, die mittlerweile von 15 Prozent der Befragten genutzt werden, vor allem das lineare Pay-TV.
Lineares Fernsehen kann auch in der Pandemie nicht punkten
Einzig das lineare Fernsehen konnte von Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen nicht profitieren. Im Gegenteil überwiegt sogar der Anteil jener, die im letzten Jahr weniger klassisch ferngesehen haben. Damit findet der Entwicklungstrend der vergangenen Jahre seine Fortsetzung: Die Rückgänge beim linearen TV sind keineswegs exorbitant, aber beständig. Gleichzeitig nehmen Mediennutzer die digitale Konkurrenz immer stärker an.
Der Trend zum Digitalen zieht sich übrigens durch alle Altersgruppen. Im mittleren Alterssegment sind die gängigen Video-on-Demand-Dienste besonders populär, Spitzenreiter sind hier die 24- bis 35-Jährigen mit einem Nutzeranteil von 74 Prozent (altersübergreifender Durchschnitt: 56 Prozent). Bei Konsumenten über 55 sinkt der Nutzeranteil allerdings deutlich. Auch die digitalen Angebote der Privatsender sowie streamingbasierte Sportdienste werden schwerpunktmäßig von Mediennutzern zwischen 20 und 45 genutzt. Völlig anders ist das Bild bei Mediatheken, die besonders von Älteren angenommen werden und ihre größte Anhängerschaft mit einem Nutzeranteil von 63 Prozent in der Generation 65+ haben (altersübergreifender Durchschnitt: 48 Prozent).
Die großen Gewinner der vergangenen zwölf Monate bleiben aber vor allem Video-on-Demand-Abonnements. 52 Prozent der Befragten gaben an, Dienste wie Netflix, Amazon Prime & Co. im letzten Jahr stärker genutzt zu haben. Drei Viertel der deutschen Haushalte haben mittlerweile mindestens ein kostenpflichtiges Abonnement für einen Streaming-Dienst abgeschlossen. In 10 Prozent der Haushalte gibt es bereits sogar vier oder mehr Abos. Die große Popularität der Video-on-Demand-Abonnements zeigt, dass Paid Content von immer mehr Konsumenten akzeptiert wird. Die Pandemie hat den Prozess zusätzlich vorangetrieben: Bereits im vergangenen Jahr gaben 25 Prozent der Befragten an, offener gegenüber Bezahlangeboten zu sein als vor der Pandemie.
Nutzer sind offen für neue Werbeformen – auch im VoD-Bereich
Während sich Video-on-Demand in Deutschland überwiegend in Form von abobasierten Bezahlangeboten etabliert hat, erfolgt die Monetisierung im asiatisch-pazifischen Raum und teilweise auch in den USA auch über Werbung. Hierzulande gibt es bereits erste Versuche mit Plattformen wie TVNOW oder Joyn. Die Reaktionen der Studienteilnehmer auf solche Modelle sind durchaus vielversprechend: Altersübergreifend würden 50 Prozent werbefinanziertes Video-on-Demand nutzen. In der Altersgruppe zwischen 35 und 44 Jahren sind sogar zwei von drei Befragten interessiert. Selbst in der Altersgruppe 65+ steht ein Drittel der Mediennutzer AVoD-Diensten offen gegenüber.
Auch für das lineare Fernsehen spannend wäre personalisierte Werbung. Dank vernetzter Screens können individuell zugeschnittene Werbespots und Werbebotschaften auch im linearen Fernsehprogramm ausgespielt werden. Für die relevanteren Spots müssen Konsumenten im Gegenzug ihre Nutzerdaten zur Verfügung stellen. Dazu ist offenbar ein Teil der werberelevanten Zielgruppe bereit. Altersübergreifend würden bereits zwei von zehn Befragten speziell auf ihre Interessen zugeschnittene Spots der traditionellen Werbung vorziehen. Dennoch bleibt eine klare Mehrheit der Mediennutzer in Deutschland vorerst zurückhaltend.
Zu viel Vielfalt? Konsumenten wünschen sich zunehmend einen Super-Aggregator
Auf Konsumentenseite zeigt sich zunehmend ein Luxusproblem: Die Vielfalt an Angeboten bringt immer mehr Nutzer dazu, mehrere Verträge mit unterschiedlichen Content-Providern einzugehen. Die Folge ist eine mitunter unübersichtliche Konstellation aus verfügbaren Inhalten und Kündigungsfristen. Abhilfe schaffen kann hier ein Super-Aggregator, der zentralen Zugang zu allen relevanten Video-Diensten mit nur einem Abo verspricht.
Altersübergreifend sind inzwischen 35 Prozent der Befragten daran interessiert, ihre Verträge bei einem Super-Aggregator zu bündeln. Vor zwei Jahren lag der Anteil bei gerade einmal 20 Prozent. Dieser enorme Zuwachs wird vor allem von der großen Popularität bei Konsumenten zwischen 19 und 44 Jahren getragen. In diesen Alterssegmenten ist fast jeder Zweite aufgeschlossen gegenüber Super-Aggregation. Fast folgerichtig besteht damit das größte Interesse in jenen Nutzergruppen, in denen auch der größte Anteil der Heavy User zu finden ist.
„Video wird immer digitaler, vielfältiger und fragmentierter angeboten – und die Mediennutzer in Deutschland nehmen die neue Video-Vielfalt auch an“, zieht Klaus Böhm Bilanz. „Selbst die Altersgruppe 65+ ist mittlerweile aufgeschlossen für Abrufinhalte, wie die breite Akzeptanz der Mediatheken in diesem Alterssegment eindrucksvoll zeigt. Gerade für die älteren Generationen gibt es weiterhin viel Potenzial im Video-on-Demand-Bereich, weil hier noch immer zielgruppenspezifischer Content fehlt. Handlungsbedarf besteht aber vor allem im Bereich der intelligenten Aggregation. Mit smartem Bundling und intelligenten Such- und Empfehlungsfunktionalitäten kann ein Super-Aggregator dabei nicht nur für seine Nutzer Mehrwert schaffen, sondern gleichzeitig neue Vermarktungsmöglichkeiten für sich und seine Partner erschließen.“
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