Standort Deutschland behauptet sich 2020 – aber europaweit starker Rückgang ausländischer Investitionen

Ausländische Investoren hielten dem Investitionsstandort Deutschland trotz Corona-Krise und Lockdowns im vergangenen Jahr weitgehend die Treue: Die Zahl der von ausländischen Unternehmen in Deutschland angekündigten Investitionsprojekte sank im Vergleich zum Vorjahr nur um vier Prozent auf 930.

Deutlich stärkere Rückgänge verbuchten Großbritannien und Frankreich: In Frankreich sank die Zahl der ausländischen Investitionen um 18 Prozent auf 985, in Großbritannien um 12 Prozent auf 975. Dennoch belegten Großbritannien und Frankreich die beiden vordersten Plätze im europäischen Standortranking vor Deutschland.

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pixabay.com ©Lusign (Creative Commons CC0)

Europaweit wurden insgesamt 5.578 Investitionsprojekte ausländischer Investoren angekündigt, das waren 13 Prozent weniger als im Vorjahr – einen derartigen Einbruch gab es selbst im Jahr 2009 nicht. Vor dem Hintergrund der erheblichen Einschränkungen des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens war allerdings von vielen ein noch stärkerer Rückgang der Investitionstätigkeit erwartet worden.

Einige mittelgroße Volkswirtschaften – zum Beispiel Polen, die Türkei, Österreich und die Schweiz – konnten sogar mehr Investitionsprojekte ausländischer Unternehmen anziehen als im Vorjahr.

Deutsche Unternehmen erwiesen sich im vergangenen Jahr als weniger investitionsfreudig als im Vorjahr: Insgesamt 603 Investitionen führten sie im europäischen Ausland durch, das waren elf Prozent weniger als im Vorjahr. Dennoch belegen deutsche Unternehmen damit hinter US-amerikanischen und weit vor britischen Unternehmen erneut den zweiten Platz im Investorenranking.

Das sind Ergebnisse einer Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY zu Investitionsprojekten ausländischer Unternehmen in Europa. Für die Studie werden Investitionsprojekte erfasst, die zur Schaffung neuer Standorte und neuer Arbeitsplätze führen; Portfolio- und M&A-Investitionen werden hingegen nicht berücksichtigt.

Den insgesamt relativ überschaubaren Rückgang bei der Zahl der Projekte vor allem in Deutschland, aber auch in Europa wertet Henrik Ahlers, Vorsitzender der Geschäftsführung von EY Deutschland, als Zeichen eines großen Vertrauens in die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften: „Die Corona-Krise führte zwar im Frühjahr zu einer Art Schockstarre in ganz Europa, zu massiven Sparmaßnahmen und zu einem vorübergehenden Stopp vieler Investitionsprojekte. Aber schon in der zweiten Jahreshälfte kam die Wirtschaft vielerorts wieder in Gang und das Investitionsumfeld verbesserte sich erheblich. Unterm Strich fiel der Rückgang erheblich geringer aus als zunächst befürchtet.“

Kaum Einbußen am Investitionsstandort Deutschland

Dass Deutschland anders als die beiden anderen wichtigen Investitionsstandorte Frankreich und Großbritannien geringere Einbußen zu verzeichnen hatte, dürfte nach Ahlers‘ Einschätzung auf mehrere Faktoren zurückzuführen sein: „Zum einen konnte Deutschland im Jahr 2020 die Auswirkungen der Pandemie auf die Wirtschaft abfedern.“ Die Wirtschaftsleistung sank in Deutschland mit minus 4,8 Prozent deutlich weniger stark als in Frankreich (-8,1 Prozent) und Großbritannien (-9,9 Prozent). „Darüber hinaus blieben die Exporte stark, da Deutschland überproportional von der frühen Erholung in China profitierte“, ergänzt Ahlers. Und schließlich kam Deutschland seine Lage in der Mitte Europas und die vergleichsweise gute Verkehrsinfrastruktur zugute: So hat sich die Zahl der Logistikprojekte 2020 im Vergleich zum Vorjahr von 63 auf 129 mehr als verdoppelt.

Während US-amerikanische, türkische und britische Unternehmen ihr Engagement in Deutschland reduzierten – um sechs, 17 bzw. 44 Prozent –, stieg die Zahl der von chinesischen (plus 17 Prozent), niederländischen (plus 15 Prozent) und französischen sowie Schweizer Unternehmen (jeweils plus 13 Prozent) ausgehenden Investitionen in Deutschland. US-amerikanische und chinesische Unternehmen waren im vergangenen Jahr für die meisten Investitionsprojekte in Deutschland verantwortlich.

„Deutschland ist für Unternehmen aus den meisten außereuropäischen Ländern der wichtigste Investitionsstandort in Europa – außer für nordamerikanische Konzerne, die bevorzugt in Großbritannien investieren. Gerade asiatische Firmen hingegen zieht es in erster Linie nach Deutschland – mit steigender Tendenz. An Deutschland schätzen ausländische Unternehmen traditionell die gut ausgebildeten Arbeitskräfte und die politische, soziale und rechtliche Sicherheit, was gerade in politisch und wirtschaftlich unruhigen Zeiten ein hohes Gut ist.“

Anstieg der Investitionen erwartet

Im vergangenen Jahr fuhren vor allem Unternehmen aus dem Maschinenbau und der Autoindustrie ihre Investitionen europaweit deutlich – um 21 bzw. um 35 Prozent – herunter. „Klassische Industrieunternehmen mussten im vergangenen Jahr bei den Investitionen massiv auf die Bremse treten. Im produzierenden Gewerbe waren die Unsicherheit und die Umsatzeinbrüche vorübergehend sehr groß“, sagt Bernhard Lorentz, Partner bei EY und Leiter des Bereichs Government & Public Sector für Deutschland, die Schweiz und Österreich. „Pharmaunternehmen hingegen bauten ihre Kapazitäten kräftig aus – die Investitionen stiegen europaweit um 62 Prozent. Dieser Boom dürfte sich im laufenden Jahr fortsetzen.“ Im Groß- und Einzelhandel lag die Investitionstätigkeit in Europa fast auf Vorjahresniveau, in der chemischen Industrie nur leicht – um fünf Prozent – darunter.

Lorentz rechnet mit einem Anstieg der Investitionen im Jahr 2021, da die Investitionsbereitschaft gerade in der Industrie wieder steige. Vor allem für Deutschland ist er optimistisch – nicht zuletzt, weil die deutsche Automobilindustrie als Leitbranche derzeit gut dastehe: „Der Automobilstandort Deutschland konnte sich in den vergangenen Jahren und auch im schwierigen Jahr der Pandemie behaupten und ist bei der Umstellung auf Elektromobilität bereits einen großen Schritt weitergekommen. Zudem zeigen einige große Investitionsprojekte in Deutschland, dass die Branche dem Standort Deutschland gute Perspektiven bescheinigt.“ Auch der Maschinenbau und die Chemieindustrie erhole sich – vor allem dank der Nachfrage aus China. Die Perspektiven der Pharmabranche seien ohnehin anhaltend gut.

Sollte es zu Veränderungen in den weltweiten Lieferketten und zu einem verstärkten Nearshoring kommen, werde Deutschland auch davon profitieren können, meint Lorentz. Denn: „Viele europäische Konzerne stehen vor der Herausforderung, die Abhängigkeit von Produkten und Vorprodukten aus Ländern wie China, Indien oder Südkorea, aber auch aus den USA zu reduzieren.“ Mit einem generellen Trend zum sogenannten Nearshoring rechnet Lorentz zwar nicht, denn „das würde bei den Unternehmen zu signifikant steigenden Kosten und sinkender Wettbewerbsfähigkeit führen.“ Aber er sieht durchaus einen neuen Fokus auf Verlässlichkeit, Planbarkeit und vor allem Nachhaltigkeit.

Dekarbonisierung wird die Investitionslandschaft entscheidend prägen

„In der Nach-Corona-Zeit werden Nachhaltigkeitsaspekte bei Investitionen eine noch viel größere Rolle spielen als bisher“, betont Lorentz. „Der Green Deal der EU hat bereits die Weichen gestellt, das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat die Dringlichkeit des Themas allen Akteuren noch einmal vor Augen geführt: An einem grünen Umbau der Wirtschaft führt kein Weg vorbei, und gerade die deutsche Industrie hat nicht nur alle Chancen, sondern auch die Verantwortung, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen.“

Einige Geschäftsmodelle – etwa Stahl und Chemie, aber auch im Bereich Mobilität – würden in den kommenden Jahren eine tiefgreifende Transformation durchleben, prognostiziert Lorentz. „Der Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit vieler Branchen sind mehr denn je neue Technologien, in die jetzt erheblich investiert werden muss. Einer der Haupttreiber werden dabei die Kosten sein, die bei einer Nichteinhaltung von neuen Regulierungen drohen.“ Nachhaltigkeit werde zukünftig mehr denn je die Standortentscheidungen von Investoren bestimmen, sagt Lorentz: „Alle von nun an getätigten langfristigen Industrieinvestitionen müssen klimaneutral erfolgen – sonst werden sie sich nicht rechnen“. Diese Erkenntnis setze sich zunehmend durch und werde schon bald die Investitionslandschaft grundsätzlich verändern, so Lorentz.

Schub für die Digitalisierung

Auf europäischer Ebene sank im vergangenen Jahr die Zahl der Investitionsprojekte im Bereich Software & IT-Dienstleistungen um 14 Prozent auf 1.046, in Deutschland wurde hingegen ein Anstieg um 13 Prozent auf 164 Projekte registriert. Sowohl in Deutschland als auch europaweit liegt der IT-Sektor in diesem Jahr erneut im Branchenvergleich vorn: Keine andere Branche hat so viele Investitionsprojekte durchgeführt.

Henrik Ahlers rechnet mittelfristig mit einer weiteren Steigerung der Bedeutung IT-bezogener Investitionen: „Die Pandemie hat bestehende Schwachstellen im Bereich der Digitalisierung gnadenlos offengelegt: Wer auf analoge Kommunikation und Geschäftsmodelle setzte – ob in den Unternehmen oder in der Öffentlichen Verwaltung – bekam in Lockdown-Zeiten erhebliche Probleme, während etwa Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen einen kräftigen Schub erlebten“, sagt Ahlers. „Schon lange hat die Förderung der Digitalisierung und digitaler Kompetenzen in der Bildung, Ausbildung und Weiterbildung hohe Priorität. Die Pandemie hat aber erheblichen und dringenden Handlungsbedarf aufgezeigt. In den kommenden Jahren werden wir daher einen kräftigen Zuwachs bei Digitalisierungsinvestitionen sehen. Zudem wird zunehmend die Verfügbarkeit von Arbeitskräften mit entsprechenden technologischen Fähigkeiten ein wichtiger Faktor, der bestimmt, wo Unternehmen investieren.“

Deutsche Konzerne bleiben die größten europäischen Investoren in Osteuropa

In den Ländern Mittel- und Osteuropas sind deutsche Unternehmen traditionell die mit Abstand wichtigsten Investoren. Allerdings haben sie ihr Engagement im Osten Europas im vergangenen Jahr deutlich reduziert: um 33 Prozent auf 160 Projekte. US-Konzerne stellen weiterhin die zweitwichtigste Investorengruppe, haben aber die Zahl ihrer Projekte um 15 auf 149 gesenkt.

Hauptinvestitionsziele deutscher Unternehmen im europäischen Ausland waren im vergangenen Jahr Frankreich (159 Projekte, plus 11 Prozent), Großbritannien (64 Projekte, minus 15 Prozent) und Spanien (60 Projekte, minus 10 Prozent).

EY