Wie verändert die Corona-Pandemie die Logistik in der Stadt der Zukunft?

Im Frühling 2020 öffnete sich in den Großstädten für ein paar Wochen ein Fenster in die Zukunft: Der Lockdown sorgte dafür, dass kaum Autos auf den Straßen waren. Laut einer Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln ging der PKW-Verkehr im März, April und Mai 2020 um mindestens 40 Prozent zurück – in der ersten Aprilwoche sogar um knapp 65 Prozent (verglichen mit 2018).

Wo einst Autos dominierten, gab es plötzlich Raum für Fußgänger und auf kilometerlangen neuen Wegen freie Fahrt für Radfahrer. Doch nach den Lockerungen im Sommer 2020 kehrten die Autos auf die Straßen zurück. Da zudem weniger Menschen die öffentlichen Transportmittel nutzten, stieg das Verkehrsaufkommen sogar deutlich an. Nach Angaben des Navigationsunternehmens TomTom wurden Mitte Juni 2020 in mehr als 30 Großstädten der Welt mehr Staus verzeichnet als 2019.

Wie funktioniert der urbane Raum in Zukunft?

Nach einem Jahrhundert, in dem sich die Städte um die Autos herum entwickelt haben, hat die Corona-Pandemie gezeigt, wie wir uns den urbanen Raum der Zukunft vorstellen dürfen. Nun stellt sich die Frage: Was machen wir mit dieser Einsicht und welche Folgen hat das für die Logistik?

„Wir stehen an einem Scheideweg“, sagt Nicole Badstuber, Forscherin für Verkehrspolitik und Reiseverhalten am University College London und an der Universität von Westminster. „Die Situation zwingt Bürger und Regierungen, zu überdenken, wie Städte funktionieren. Helfen die Lösungen, die wir aktuell haben, wirklich so vielen Menschen wie möglich?“, sagt sie.

Viele Rad- und Fußwege, aber auch Verkehrseinschränkungen, die während des Lockdowns eingerichtet wurden, blieben erhalten. Einige Städte haben konkrete Maßnahmen und Ziele für die Zukunft entwickelt:

  • In der Stadt München sollen die im Lockdown entstandenen Pop-up-Radwege ab April 2021 zurückkommen (im Winter waren sie entfernt) – zwei davon als feste Radspuren.
  • London will die größte autofreie Zone schaffen, die es in einer Hauptstadt gibt
  • Rom will auf Basis eines Pop-up-Radwegs bis Ende 2021 insgesamt 150 Kilometer Radweg bauen
  • Aus Paris soll die „15-Minuten-Stadt“ werden, in der die meisten täglichen Ziele leicht zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind.

Neue Konzepte in der urbanen Logistik

Fest steht: Wenn der Verkehr in den Städten nach der Pandemie smarter und grüner werden soll, geht es nicht ohne Innovationen. Das österreichische Unternehmen Kapsch TrafficCom AG hat beispielsweise herausgefunden, dass „smarte“, verkehrsabhängig gesteuerte, Ampeln helfen: In Pilotstädten sollen allein dadurch um bis zu 25 Prozent reduzierte Stauzeiten erreicht worden sein.

Lösungen wie diese im großen Stil zu implementieren, sei bisher schwierig, teuer und langsam gewesen, sagt Robin North, Mitbegründer und CEO von Immense, einer digitalen Plattform zur Simulation von Mobilitätssystemen.

Er ist aber wie Nicole Badstuber der Überzeugung, dass Corona mithilfe der richtigen Technologien eine große Chance für die Neugestaltung des Verkehrsnetzes einer Stadt bietet.

„Leistungsstarke Simulationssoftware kann uns helfen, schnell herauszufinden, welchen Einfluss die elektrische Ladeinfrastruktur, autonome Fahrzeuge, die effiziente Nutzung des Straßenraums oder eine bessere Planung von Straßenarbeiten haben“, sagt North.

Was bedeutet das nun für die Stadtlogistik?

Zunehmender Lieferverkehr auf den Straßen ist kein Phänomen, das sich erst in der Corona-Pandemie entwickelt hat. Laut Bundesverband Paket und Expresslogistik (BIEK) hat sich das Sendungsvolumen der KEP-Dienstleister seit dem Jahr 2000 mit 116 Prozent mehr als verdoppelt. Doch durch Corona hat der Online-Handel und damit der Verkehr durch die Lieferung noch einmal stark zugelegt: Im Weihnachtsgeschäft 2020 beförderten die Paketdienste in Deutschland laut BIEK ein Rekordvolumen von rund 775 Millionen Sendungen, das Wachstum bei den Paketsendungen an Endverbraucher war verglichen mit 2019 sogar 2,5-mal so hoch. Und es kündigt sich an, dass die Verbraucher auch nach Ende der Pandemie mehr Online-Shopping betreiben werden als zuvor.

Nachhaltige Lösungen – mit Lastenfahrrad und Mikro-Depot

Eine große Herausforderung für die Zustellung bleibt die Letzte Meile – vor allem in der Stadt. Langsam aber sicher verändern sich die Zustellwege, werden nachhaltiger und verlagern sich zunehmen auf E-Fahrzeuge und Pedalkraft. Das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML hat Ende 2019 in einer Studie herausgefunden:

„Mikro-Depots haben das Potenzial, zu weniger Lkw-Verkehr und einer reduzierten Emissionsbelastung in Innenstädten beizutragen“, sagt Institutsleiter Prof. Uwe Clausen.

Auch Hermes hat diesen Weg bereits eingeschlagen und kann mit einem nachhaltigen Mikro-Depot für Lastenfahrräder in Berlin drei von fünf klassischen Lieferwagen einsparen.

In autoarmen oder autofreien Räumen stellt diese Möglichkeit die Zustellung auf der letzten Meile sicher. Außerdem treibt Hermes in zahlreichen Städten die Elektrifizierung seiner Fahrzeugflotte voran, denn auch dieser Aspekt wird in der Stadtlogistik der Zukunft eine entscheidende Rolle spielen. In der Innenstadt Dresdens sind bereits 15 Elektro-Transporter unterwegs, die pro Jahr rund 45 Tonnen CO2 einsparen. In Hamburg wird bereits jede fünfte Tour mit einem E-Fahrzeug umgesetzt.

Auch wenn die Pandemie überstanden ist, bleibt abzuwarten, wie sie sich langfristig auf die Städte auswirken wird. Nicole Badstuber fordert Regierungen, Unternehmen und Bürger auf, die Chance zu ergreifen:

„Jetzt ist die Zeit, Optionen zu testen und wertvolle Daten für zukünftige Entscheidungen zu sammeln.“