Zahl der Finanzspritzen für deutsche Startups steigt auf Rekordniveau – trotz Corona-Krise

Trotz der Corona-Krise erhielten 2020 mehr deutsche Startups frisches Kapital als im Vorjahr: Die Zahl der Finanzierungsrunden stieg um sechs Prozent auf 743 und erreichte damit einen neuen Rekordwert. Allerdings gab es deutlich weniger Großdeals im Volumen von 100 Millionen Euro, so dass das Investitionsvolumen relativ stark sank: um 15 Prozent auf 5,3 Milliarden Euro.

Erneut gab es in Berlin besonders rege Aktivitäten: Die Zahl der Finanzierungsrunden kletterte in der Bundeshauptstadt um 20 Prozent auf 314. Allerdings machte sich auch in Berlin der Mangel an ganz großen Transaktionen bemerkbar: Das Investitionsvolumen verringerte sich um 17 Prozent auf 3,1 Milliarden Euro. In Bayern lag das Investitionsvolumen hingegen mit 1,51 Milliarden fast auf dem Niveau des Vorjahres (1,55 Milliarden Euro). Die Zahl der Transaktionen lag in Bayern zudem mit 176 Deals um 36 Prozent höher als 2019.

Während in Berlin und Bayern mehr Finanzierungen als im Vorjahreszeitraum registriert wurden, war die Entwicklung an den übrigen größeren Startup-Standorten rückläufig: In Nordrhein-Westfalen sank die Zahl der Transaktionen um 29 Prozent auf 62, in Hamburg um 15 Prozent auf 46 und in Baden-Württemberg um 17 Prozent auf 34. Auch beim Investitionsvolumen lagen diese drei Bundesländer unter dem Vorjahresniveau: In NRW schrumpfte die insgesamt investierte Summe um 27 Prozent auf 196 Millionen Euro, in Baden-Württemberg um 26 Prozent auf 155 Millionen Euro und in Hamburg sogar um 45 Prozent auf 140 Millionen Euro.

Das sind Ergebnisse des Startup-Barometers der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young). Berücksichtigt wurden Unternehmen, deren Gründung höchstens zehn Jahre zurückliegt.

„Es gibt zwar einen Corona-Effekt bei den Risikokapitalinvestitionen“, beobachtet Hubert Barth, Vorsitzender der Geschäftsführung von EY Deutschland. „Dieser beschränkt sich aber in erster Linie auf den Rückgang bei sehr großen Deals.“ Die Zahl der Transaktionen mit einem Volumen von mehr als 100 Millionen Euro sank im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 13 auf acht. Gleichzeitig gab es mehr kleine Transaktionen. Thomas Prüver, Partner bei EY, ergänzt: „Vor allem sehen wir Veränderungen bei den Branchen, in die das Geld fließt. Eindeutige Gewinner des letzten Jahres waren die Bereiche Health und e-Commerce, in die jeweils deutlich höhere Summen investiert wurden. Auf der anderen Seite schrumpfte das Investitionsvolumen bei Mobilitäts-Startups und FinTechs kräftig.“

Das deutsche Startup-Ökosystem habe die Corona-Krise insgesamt bislang relativ gut überstanden, resümiert Prüver. Viele Jungunternehmen hätten zwar mit massiven Problemen gekämpft, das von vielen befürchtete große „Startup-Sterben“ sei 2020 aber ausgeblieben – auch dank weiter fließender Investorengelder. Allerdings betont Prüver: „Für eine Entwarnung ist es noch zu früh: Denn aufgrund der ausgesetzten Insolvenzanmeldungspflicht ist nicht klar, wie es tatsächlich um die vielen kleinen Unternehmen steht, die nicht im Investorenfokus stehen und womöglich vollständig mit Eigenmitteln finanziert sind.“

Die größte Transaktion in Deutschland war eine Finanzspritze von 255 Millionen Euro für die in Berlin ansässige Auto1 Group im Juli, gefolgt von 218 Millionen Euro für den Münchner Flugtaxi-Entwickler Lilium im März, die im Juni auf fast 250 Millionen Euro erweitert wurde. An dritter Stelle steht eine 212-Millionen-Euro-Finanzierung für das Berliner E-Mobility-Startup Tier Mobility. Von den fünf größten Finanzierungsrunden des Jahres entfielen vier auf Berlin, eine auf Bayern.

FinTech und Mobility verlieren stark – Gesundheits-Startups legen zu

Die meisten Finanzierungsrunden wurden 2020 wie schon im Vorjahr im Bereich Software & Analytics gezählt: Die Zahl lag mit 232 etwa auf dem Niveau des Vorjahres (228 Deals). Das Investitionsvolumen schrumpfte allerdings um 15 Prozent auf 1,0 Milliarden Euro. Mit 109 Transaktionen (plus 27 Prozent) belegt der Gesundheitssektor den zweiten Platz im Ranking nach Deal-Anzahl. Das Investitionsvolumen, das in Gesundheits-Startups floss, kletterte sogar um 42 Prozent auf 670 Millionen Euro. Gesunken ist hingegen die Zahl der Finanzierungsrunden für e-Commerce Startups (um 8 Prozent auf 98), während das Investitionsvolumen in diesem Segment um 35 Prozent auf 976 Millionen Euro hochschnellte.

Deutliche Einbußen verzeichneten die Segmente Mobilität und FinTech – die Zahl der Deals lag zwar bei Mobilitäts-Startups mit 58 höher als im Vorjahr (51 Transaktionen) bzw. im FinTech-Sektor nicht allzu stark unter dem Vorjahresniveau (minus 13 Transaktionen auf 54). Das Investitionsvolumen ging aber in beiden Segmenten aufgrund der geringeren Zahl großer Transaktionen kräftig zurück: um 28 Prozent auf 1,2 Milliarden Euro (Mobilität) bzw. um 58 Prozent auf 552 Millionen Euro (FinTech).

Bayern etabliert sich als zweiter starker Startup-Standort in Deutschland

Berlin konnte im vergangenen Jahr seine Position als Deutschlands führender Startup-Standort behaupten und verzeichnete gerade in der zweiten Jahreshälfte starke Finanzierungsaktivitäten. Neben Berlin etabliert sich aber auch Bayern zunehmend als Top-Standort mit einem klaren eigenen Profil. „München hat sich zum zweiten großen Startup-Standort in Deutschland entwickelt“, sagt Prüver. „München und das Münchner Umland haben eine spezifische Stärke im Technologie-Bereich und ergänzen Berlin perfekt. Andere deutsche Standorte hatten es im vergangenen Jahr hingegen relativ schwer – die ganz großen Deals werden zunehmend entweder in Berlin oder in München ausgehandelt. Dieser Trend dürfte sich im laufenden Jahr fortsetzen“, erwartet Prüver.