Online-Plattformen haften nicht unmittelbar für das rechtswidrige Hochladen geschützter Werke durch Nutzer

Die  Richtlinie  2019/790  über  das  Urheberrecht  und  die  verwandten  Schutzrechte  im  digitalen Binnenmarkt1  führt für Betreiber von Online-Plattformen wie YouTube eine neue spezifische Haftungsregelung für Werke ein, die von den Nutzern dieser Plattformen rechtswidrig online gestellt werden. Diese Richtlinie, die von jedem Mitgliedstaat spätestens bis zum 7. Juni 2021 in innerstaatliches Recht umzusetzen ist, verpflichtet die Betreiber u. a. dazu, für die von den Nutzern ihrer  Plattform  online  gestellten  Werke  die  Zustimmung  von  deren  Rechtsinhabern  einzuholen, z. B. indem sie eine Lizenzvereinbarung abschließen.

In   den   vorliegenden   Rechtssachen   ist   diese   Richtlinie   noch   nicht   anwendbar.   Der Gerichtshof  wird  somit  um  die  Klarstellung  der  Haftung  der  Betreiber  nach  den  derzeit geltenden  Regelungen  ersucht,  die  sich  aus  der  Richtlinie  2000/31  über  den  elektronischen Geschäftsverkehr2,   der   Richtlinie   2001/29   zur   Harmonisierung   bestimmter   Aspekte   des Urheberrechts  und  der  verwandten  Schutzrechte  in  der  Informationsgesellschaft3    sowie  der Richtlinie 2004/48 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums4  ergeben.

In  dem  Rechtsstreit,  der  der  ersten  Rechtssache  zugrunde  liegt,  geht  Frank  Peterson,  ein Musikproduzent, gegen YouTube und deren Muttergesellschaft Google wegen des Hochladens mehrerer Tonträger auf Youtube im Jahr 2008, an denen er verschiedene Rechte haben soll, vor deutschen  Gerichten  vor.  Dieses  Hochladen  erfolgte  ohne  seine  Erlaubnis  durch  Nutzer  der Plattform. Es geht um Titel aus dem Album „A Winter Symphony“ der Künstlerin Sarah Brightman und  um  private  Tonmitschnitte,  die  bei  Konzerten  ihrer  Tournee  „Symphony  Tour“  angefertigt wurden.

In dem Rechtsstreit, der der zweiten Rechtssache zugrunde liegt, geht die Verlagsgruppe Elsevier gegen  Cyando  wegen  der  im  Jahr  2013  erfolgten  Einstellung  verschiedener  Werke,  an  denen Elsevier die ausschließlichen Rechte hält, auf der Sharehosting-Plattform Uploaded vor deutschen Gerichten vor. Diese Einstellung erfolgte ohne ihre Erlaubnis durch Nutzer der Plattform. Es geht um  die Werke  „Gray’s  Anatomy for  Students“,  „Atlas  of  Human  Anatomy“  und  „Campbell-Walsh

Der  Bundesgerichtshof (Deutschland), der mit diesen beiden Rechtsstreitigkeiten befasst  ist, hat dem Gerichtshof mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

In   seinen Schlussanträgen   schlägt   Generalanwalt   Saugmandsgaard   Øe   dem Gerichtshof vor, zu entscheiden, dass Betreiber wie YouTube und Cyando nicht unmittelbar für   einen   Verstoß   gegen    das   Urhebern   nach   der   Richtlinie    2001/29 5     zustehende ausschließliche Recht, ihre Werke öffentlich zugänglich zu machen, haften, wenn die Nutzer ihrer Plattformen geschützte Werke rechtswidrig hochladen.

Der   Generalanwalt   ist   nämlich   der   Auffassung,   dass   Betreiber   wie   YouTube   und   Cyando grundsätzlich  in  diesem  Fall  selbst  keine  „öffentliche  Wiedergabe“  vornähmen.  Die  Rolle  der Betreiber sei grundsätzlich6  die eines Vermittlers, der Einrichtungen bereitstelle, die den Nutzern die  „öffentliche  Wiedergabe“  ermögliche.  Die  Primärhaftung,  die  sich  aus  dieser  „Wiedergabe“ ergeben könne, treffe somit in der Regel allein diese Nutzer.

Herr Saugmandsgaard Øe weist darauf hin, dass der Vorgang des Einstellens einer Datei auf einer Plattform wie YouTube oder Uploaded, sobald er vom Nutzer eingeleitet sei, automatisch erfolge, ohne dass der Betreiber dieser Plattform die veröffentlichten Inhalte auswähle oder sie auf andere Weise   bestimme.   Die   etwaige   vorherige   Kontrolle,   die   dieser   Betreiber   gegebenenfalls automatisiert   vornehme,   stelle   keine   Auswahl   dar,   solange   sie   sich   auf   die   Aufdeckung rechtswidriger Inhalte beschränke und nicht  den Willen des Betreibers widerspiegele,  bestimmte Inhalte öffentlich wiederzugeben (und andere nicht).

Ferner  solle  die  Richtlinie  2001/29  nicht  die  Sekundärhaftung  regeln,  d. h.  die  Haftung  von Personen, die die Verwirklichung rechtswidriger Handlungen der „öffentlichen Wiedergabe“ durch Dritte   erleichterten.   Diese   Haftung,   die   im   Allgemeinen   die   Kenntnis   der   Rechtswidrigkeit voraussetze, falle unter das nationale Recht der Mitgliedstaaten.

Zudem könnten Betreiber von Plattformen wie YouTube und Cyando grundsätzlich für die Dateien,  die  sie  im  Auftrag  ihrer  Nutzer  speicherten,  in  den  Genuss  der  in  der  Richtlinie 2000/317   vorgesehenen  Haftungsbefreiung  kommen,  sofern  sie  keine  „aktive  Rolle“  gespielt hätten,  die  ihnen  „eine  Kenntnis  oder  Kontrolle“  der  in  Rede  stehenden  Informationen  habe verschaffen können, was in der Regel nicht der Fall sei. Die fragliche Befreiung sehe vor, dass der Anbieter  eines  Dienstes  der  Informationsgesellschaft,  der  in  der  Speicherung  von  durch  einen Nutzer  des  Dienstes  eingegebenen  Informationen  bestehe,  nicht  für  die  hierbei  gespeicherten Informationen verantwortlich gemacht werden könne, es sei denn, dass er, nachdem er Kenntnis von  der  Rechtswidrigkeit  dieser  Informationen  oder  Tätigkeiten  erlangt  habe  oder  sich  dieser Rechtswidrigkeit  bewusst  geworden  sei,  diese  Informationen  nicht  unverzüglich  entfernt  oder unzugänglich gemacht habe.

Nach  Ansicht  des Generalanwalts  gilt  diese Befreiung  horizontal für jede  Form  der  Haftung,  die sich für die betreffenden Anbieter aus jeder Art von Informationen, die im Auftrag der Nutzer ihrer Dienste  gespeichert  seien,  ergeben  könne,  unabhängig  davon,  worauf  diese  Haftung  beruhe, welches  Rechtsgebiet  betroffen  sei  und  welcher  Art  oder  Rechtsnatur  die  Haftung  sei.  Die Befreiung  erfasse  somit  sowohl  die  primäre  als  auch  die  sekundäre  Haftung  für  die  von  diesen Nutzern bereitgestellten Informationen und die von ihnen initiierten Tätigkeiten.

Der  Generalanwalt  weist  darauf  hin,  dass  sich  die  Fälle,  in  denen  die  fragliche  Befreiung ausgeschlossen   sei,   nämlich   wenn   ein   Diensteanbieter   „tatsächliche   Kenntnis   von   der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information“ habe oder sich der „Tatsachen oder Umstände bewusst [sei], aus denen die rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird“, grundsätzlich auf konkrete rechtswidrige Informationen bezögen. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass sich die Plattformbetreiber   zu   Schiedsrichtern   über   die   Rechtmäßigkeit   von   Online-Inhalten aufschwängen und eine „übervorsorgliche Entfernung“ der Inhalte vornähmen, die sie im Auftrag   der   Nutzer   ihrer   Plattformen   speicherten,   indem   sie   rechtmäßige   Inhalte gleichermaßen löschten.

Herr Saugmandsgaard Øe schlägt außerdem vor, zu entscheiden, dass unabhängig von der Haftungsfrage die Rechtsinhaber gegen diese Betreiber von Online-Plattformen nach dem Unionsrecht gerichtliche Anordnungen erwirken können, durch die diesen Verpflichtungen aufgegeben  werden  können.  Die  Rechtsinhaber  müssten  nämlich  die  Möglichkeit  haben,  eine solche   Anordnung   zu   beantragen,   wenn   feststehe,   dass   Dritte   über   den   Dienst   des Plattformbetreibers   ihre  Rechte  verletzten,  ohne  einen  Wiederholungsfall  abwarten  und  ein Fehlverhalten des Vermittlers beweisen zu müssen.

1Richtlinie (EU) 2019/790 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG (ABl.2019, L 130, S. 92).

2Richtlinie  2000/31/EG  des  Europäischen  Parlaments  und  des  Rates  vom  8.  Juni  2000  über  bestimmte  rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) (ABl. 2000, L 178, S. 1).

3Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2001, L 167, S. 10).

4Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. 2004, L 157, S. 45 und Berichtigung ABl. 2004, L 195, S. 16). Urology“,  die  über  die  Linksammlungen  rehabgate.com,  avaxhome.ws  und  bookarchive.ws  auf Uploaded frei eingesehen werden konnten.

5Art. 3 der Richtlinie.

6Ein  Diensteanbieter  überschreite  jedoch  die  Rolle  des  Vermittlers,  wenn  er  aktiv  in  Bezug  auf  die  „öffentliche Wiedergabe“ der Werke tätig werde. Das sei u. a. der Fall, wenn er den übertragenen Inhalt auswähle, ihn auf andere Weise bestimme oder ihn der Öffentlichkeit so präsentiere, dass er als sein eigener erscheine. In diesen Fällen bewirke der Diensteanbieter gemeinsam mit dem Dritten, der den Inhalt ursprünglich bereitgestellt habe, die „Wiedergabe“.

7  Art. 14 der Richtlinie.