Vorbereitung auf den Brexit: EU vervollständigt Vorbereitungen für möglichen Austritt ohne Abkommen am 12. April

Da es immer wahrscheinlicher wird, dass das Vereinigte Königreich am 12. April ohne Abkommen aus der Europäischen Union austritt, hat die Europäische Kommission gestern ihre Vorbereitungen auf ein solches sogenanntes No-Deal-Szenario vervollständigt.

Zugleich unterstützt die Kommission Verwaltungen weiter bei deren Vorbereitungen und ruft die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen der EU dringend dazu auf, sich über die Folgen eines möglichen No-Deal-Szenarios auf dem Laufenden zu halten und ihre Vorbereitungen für diesen Fall zu vervollständigen. In der vergangenen Woche hatte bereits der Europäische Rat (Artikel 50) in seinen Schlussfolgerungen dazu aufgerufen, die Arbeit zur Vorbereitung und Notfallvorsorge fortzusetzen. Ein No-Deal-Szenario ist zwar nicht wünschenswert, doch ist die EU darauf vorbereitet.

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Auf Antrag von Premierministerin Theresa May gab der Europäische Rat (Artikel 50) am Donnerstag, dem 21. März seine Zustimmung zu einer Verschiebung des Austrittsdatums auf den 22. Mai 2019 unter der Voraussetzung, dass das Austrittsabkommen spätestens am 29. März 2019 vom Unterhaus angenommen wird. Für den Fall, dass das Unterhaus das Austrittsabkommen bis dahin nicht billigen sollte, hat der Europäische Rat einer Verschiebung bis zum 12. April 2019 zugestimmt. In diesem Fall würden vom Vereinigten Königreich vor diesem Datum Angaben zum weiteren Vorgehen erwartet.

Auch wenn die Europäische Union weiter hofft, dass dieser Fall nicht eintritt, könnte es am 12. April zu einem No-Deal-Szenario kommen, wenn das Austrittsabkommen nicht bis Freitag, den 29. März ratifiziert wird. Die EU hat sich für dieses Szenario vorbereitet und war sich dabei stets einig. Daher ist es jetzt wichtig, dass alle auf ein solches Szenario ohne Abkommen gefasst und sich seiner praktischen Folgen bewusst sind.

No-Deal-Szenario

In einem No-Deal-Szenario wird das Vereinigte Königreich ohne Übergangsabkommen zu einem Drittland. Das gesamte Primär- und Sekundärrecht der EU wird für das Vereinigte Königreich ab dem Austrittszeitpunkt nicht mehr gelten. Einen Übergangszeitraum, wie er im Austrittsabkommen vorgesehen ist, wird es nicht geben. Dies wird natürlich für die Bürgerinnen und Bürger sowie für Unternehmen erhebliche Beeinträchtigungen mit sich bringen.

In einem solchen Szenario würden die Beziehungen des Vereinigten Königreichs zur EU durch das allgemeine Völkerrecht einschließlich der Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) geregelt. Die EU müsste an ihren Grenzen mit dem Vereinigten Königreich ihre Vorschriften und Zölle sofort anwenden. Dies umfasst Kontrollen aufgrund von Zollvorschriften sowie gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Normen und die Überprüfung der Einhaltung von EU-Normen. Trotz der umfangreichen Vorbereitungen bei den Zollbehörden der Mitgliedstaaten könnten diese Kontrollen zu erheblichen Verzögerungen an der Grenze führen. Einrichtungen und Unternehmen aus dem Vereinigten Königreich könnten auch keine Finanzhilfen aus der EU mehr erhalten und nach den derzeitigen Bestimmungen nicht mehr an Ausschreibungsverfahren in der EU teilnehmen.

Ebenso wären Bürger des Vereinigten Königreichs keine Bürger der Europäischen Union mehr. Bei der Einreise in die Europäische Union wären sie zusätzlichen Kontrollen unterworfen. Auch hierzu wurden von den Mitgliedstaaten in Häfen und Flughäfen umfangreiche Vorbereitungen unternommen, um sicherzustellen, dass diese Kontrollen so effizient wie möglich vorgenommen werden, sie können aber gleichwohl zu Verzögerungen führen.

Vorbereitung der EU auf ein No-Deal-Szenario und Notfallvorsorge

Die Europäische Kommission bereitet sich seit Dezember 2017 auf ein No-Deal-Szenario vor. Sie hat 90 Mitteilungen zur Vorbereitung auf den Brexit sowie drei Mitteilungen der Kommission veröffentlicht und 19 Legislativvorschläge vorgelegt (siehe unten).

Sie hat zudem auf fachlicher Ebene Beratungen mit den 27 in der EU verbleibenden Mitgliedstaaten über die Vorbereitung auf den Brexit und die Notfallvorsorge geführt, bei denen sowohl allgemeine Fragen als auch besondere sektorspezifische, rechtliche und verwaltungstechnische Aspekte erörtert wurden. Die Kommission hat mittlerweile auch ihre Reise durch die Hauptstädte dieser 27 EU-Mitgliedstaaten abgeschlossen. Ziel dieser Besuche war es, etwaige Unklarheiten über die Maßnahmen der Kommission zur Vorbereitung und zur Notfallvorsorge zu beseitigen und die nationalen Vorbereitungen und Notfallpläne zu erörtern. Es zeigte sich dabei, dass die Mitgliedstaaten auf alle Szenarien in hohem Maße vorbereitet sind.

Die Mitgliedstaaten haben ihrerseits intensive nationale Vorbereitungen getroffen. Ein Überblick über die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen in den EU-27-Mitgliedstaaten kann hier abgerufen werden. Dort finden sich auch direkte Links zu den Websites der Mitgliedstaaten über die Brexit-Vorbereitungen.

Legislative Maßnahmen zur Notfallvorsorge und zur Vorbereitung

Die Kommission hat bislang 19 Legislativvorschläge vorgelegt. 17 davon wurden vom Europäischen Parlament und vom Rat verabschiedet, oder es wurde eine Einigung erzielt. Die förmliche Annahme all dieser Dossiers durch das Europäische Parlament und den Rat ist derzeit im Gange. Zwei Vorschläge werden von den beiden gesetzgebenden Organen zu gegebener Zeit fertiggestellt.

Wie in den Mitteilungen der Kommission über die Brexit-Vorbereitungen ausgeführt, werden – und können – diese Maßnahmen die Gesamtauswirkungen eines No-Deal-Szenarios nicht abfedern. Ebenso wenig können dadurch unzureichende Vorbereitungen ausgeglichen werden. Es wird auch nicht möglich sein, sämtliche Vorteile einer EU-Mitgliedschaft oder die günstigen Bedingungen für einen Übergangszeitraum – so wie im Entwurf des Austrittsabkommens vorgesehen – nachzubilden. Die Vorschläge sind zeitlich befristet, von begrenzter Tragweite und werden einseitig von der EU angenommen. Sie stellen keine „Mini-Abkommen“ dar und wurden nicht mit dem Vereinigten Königreich ausgehandelt.

Die EU hat in ihren Vorbereitungen stets eine einheitliche Position vertreten und wird das in jeder möglichen No-Deal-Phase auch weiterhin tun.

Die Notfallmaßnahmen für einen Austritt ohne Abkommen umfassen:

  • Programm PEACE: Fortsetzung des Programm zur Unterstützung des Friedensprozesses in Nordirland (PEACE) bis Ende 2020. Für den Zeitraum nach 2020 hat die Kommission bereits im Rahmen ihrer Vorschläge für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen vorgeschlagen, die grenzübergreifende Förderung von Frieden und Versöhnung in den Grenzgebieten Irlands und Nordirlands fortzusetzen und zu stärken.
  • EU-Haushalt (Verfahren zur endgültigen Verabschiedung läuft): Bei einem Austritt ohne Abkommen ist die EU in der Lage, ihren Verpflichtungen nachzukommen und bei vor dem 30. März 2019 unterzeichneten Verträgen bzw. getroffenen Entscheidungen auch im Jahr 2019 Zahlungen an Begünstigte im Vereinigten Königreich zu leisten, sofern das Vereinigte Königreich seinen Verpflichtungen gemäß dem EU-Haushalt für 2019 nachkommt und die erforderlichen Rechnungsprüfungen und Kontrollen akzeptiert.
  • Fischereirechte und finanzieller Ausgleich: Durch diese Maßnahmen sollen Fischer und andere Marktteilnehmer aus EU-Mitgliedstaaten eine Entschädigung aus dem Europäischen Meeres- und Fischereifonds für die vorübergehende Einstellung von Fangtätigkeiten erhalten. Dadurch wird auch sichergestellt, dass die EU Schiffen des Vereinigten Königreichs bis Ende 2019 Zugang zu den EU-Gewässern gewähren kann, sofern EU-Schiffe im Gegenzug Zugang zu den Gewässern des Vereinigten Königreichs haben.
  • Finanzdienstleistungen: vorübergehende, begrenzte Maßnahmen, um sicherzustellen, dass es beim zentralen Clearing von Derivaten und den von Zentralverwahrern im Vereinigten Königreich für Wirtschaftsbeteiligte in der EU erbrachten Diensten zu keinen unmittelbaren Störungen kommt, und um die Umwandlung bestimmter außerbörslicher Derivatekontrakte (OTC-Derivatekontrakte – OTC: over the counter) bei der Übertragung von einer Gegenpartei im Vereinigten Königreich auf eine Gegenpartei in der EU-27 für einen festgelegten Zeitraum von 12 Monaten zu erleichtern.
  • Konnektivität im Luftverkehr und Sicherheit: Durch diese beiden Maßnahmen wird eine grundlegende Konnektivität sichergestellt, um zu verhindern, dass der Luftverkehr zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich bei einem Austritt ohne Abkommen vollständig zum Erliegen kommt.
  • Konnektivität im Straßenverkehr: Die Maßnahme ermöglicht die Aufrechterhaltung einer sicheren grundlegenden Konnektivität im Straßenverkehr zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich für einen begrenzten Zeitraum, vorausgesetzt, das Vereinigte Königreich gewährt Unternehmen und Wirtschaftsteilnehmern aus der EU Gegenseitigkeit.
  • Konnektivität im Schienenverkehr: Durch die Maßnahme wird sichergestellt, dass die Sicherheitsgenehmigungen für bestimmte Teile der Eisenbahninfrastruktur für einen streng begrenzten Zeitraum von drei Monaten gültig bleiben, damit langfristige Vorkehrungen im Einklang mit dem EU-Recht getroffen werden können. Dies betrifft insbesondere den Kanaltunnel und ist an die Bedingung geknüpft, dass das Vereinigte Königreich den EU-Anforderungen entsprechende Sicherheitsstandards beibehält.
  • Überprüfung von Schiffen: Dadurch sollen in der Schifffahrt die Rechtssicherheit und die Aufrechterhaltung des Betriebs sichergestellt werden.
  • Neuausrichtung des Kernnetzkorridors „Nordsee – Mittelmeer“: Durch diese Maßnahme werden dem Kernnetzwerk neue Seeverbindungen zwischen Irland, Frankreich, Belgien und den Niederlanden hinzugefügt, und es wird eine neue Finanzierungspriorität in die Fazilität „Connecting Europe“ aufgenommen, nämlich die Anpassung der Verkehrsinfrastruktur für Sicherheits- und Grenzkontrollzwecke.
  • Klimapolitik: Durch diese Maßnahme wird sichergestellt, dass das reibungslose Funktionieren und die Umweltwirksamkeit des Emissionshandelssystems auch durch ein No-Deal-Szenario nicht beeinträchtigt werden.
  • Programm Erasmus+: Studierende und Praktikanten, die sich zum Zeitpunkt des Austritts des Vereinigten Königreichs im Rahmen von Erasmus+ im Ausland aufhalten, können ihren Studienaufenthalt abschließen und weiterhin ihre Stipendien und sonstige Zahlungen beziehen.
  • Ansprüche aus der Sozialversicherung: Die Ansprüche von Personen, die ihr Recht auf Freizügigkeit vor dem Austritt des Vereinigten Königreichs ausgeübt haben (etwa aus Zeiträumen vor dem Austritt, in denen sie im Vereinigten Königreich versichert, (selbständig) berufstätig oder wohnhaft waren), bleiben bestehen.
  • Visa-Reziprozität (Verfahren zur endgültigen Verabschiedung läuft): visumfreie Reisen für Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs in die EU, sofern im Gegenzug auch das Vereinigte Königreich allen EU-Bürgern unterschiedslos visumfreie Einreise gewährt.
  • Staatliche Beihilfen:

Was den Bedarf an finanziellen Ressourcen und/oder technischer Unterstützung betrifft, so können die Probleme von Unternehmen im Fall eines No-Deal-Brexits im Rahmen der geltenden Vorschriften für staatliche Beihilfen gelöst werden. So können nach den Beihilfevorschriften Beratungsbeihilfen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) oder Ausbildungsbeihilfen gewährt werden, die für die Vorbereitung von KMU (auch auf mögliche künftige Zollformalitäten) genutzt werden könnten. Die Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien enthalten Bestimmungen über Regelungen für vorübergehende Umstrukturierungshilfe zugunsten von KMU, die zur Lösung ihrer durch den Brexit verursachten Liquiditätsprobleme beitragen könnte. Der Zugang zu Finanzmitteln ist in verschiedenen Formen möglich, z. B. über staatlich finanzierte Kreditprogramme, die den Referenzzinssatz einhalten, oder staatliche Garantien nach der Garantiemitteilung (siehe die Kontaktdaten unter folgendem Link).

Finanzierung und Unterstützung aus dem EU-Haushalt

In bestimmten Bereichen, etwa bei der Schulung von Zollbeamten im Rahmen des Programms „Zoll 2020“, kann auch technische und finanzielle Unterstützung durch die Europäische Union bereitgestellt werden. Durch weitere Programme können ähnliche Schulungsprojekte im Bereich der gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Kontrollen gefördert werden. Für die Landwirtschaft sind im EU-Recht verschiedene Instrumente vorgesehen, mit denen die unmittelbarsten Auswirkungen des Austritts des Vereinigten Königreichs, insbesondere bei einem No-Deal-Szenario, abgemildert werden sollen.

Mitteilungen zur Vorbereitung auf den Brexit

Die Europäische Kommission hat 90 sektorspezifische Mitteilungen zur Vorbereitung auf den Brexit veröffentlicht. Sie enthalten ausführliche Leitlinien für die verschiedenen vom Brexit betroffenen Branchen. Sie können unter folgendem Link abgerufen werden.

EU Kommission