Ökonomische An- und Aussichten für Onlinehändler in den USA und Großbritannien

Scot Wingo, Channel Advisor CEO, ist gerade von der Catalyst-Konferenz in London nach Amerika zurückgekehrt und berichtet über die Neuigkeiten, die er aus Großbritannien mitgebracht hat. Was Wingo an der Catalyst hervorragend gefällt, ist der Fakt, dass detaillierte Informationen über den E- Commerce in Europa innerhalb kurzer Zeit zu erfahren sind.

Die wirtschaftliche Situation in Großbritannien ist ähnlich wie die in den USA. Das Vertrauen der Verbraucher sinkt, das Kredit-Problem ist groß und die Arbeitslosenquote steigt signifikant an. Wie auch immer, an der E-Commerce-Front jedoch sieht es anders aus als in den Vereinigten Staaten. „Bevor ich über den großen Teich geflogen bin, habe ich einige Nachforschungen über die Vorhersagen für das Jahr 2009 in Großbritannien angestellt, und bin auf 3 aussagekräftige Quellen gestoßen:

  • IMRG Cappuccino: eine britische Vereinigung von Händlern, die eine Wachstumsrate von 15% vorhersagen für den britischen Handel.
  • eMarketer: ein in den USA beheimateter Online- Marktforscher sieht das Wachstum bei 14% liegen.
  • Forrester: ebenfalls in Amerika zu Hause, gibt die Steigerung mit 14% an.

Betrachtet man die Zahlen, so weichen sie von den amerikanischen Werten deutlich ab. Vor meiner Teilnahme an der Catalyst war ich der Ansicht, dass Forrester den Zahlen am nächsten kommt. Nachdem ich jedoch in England mit hunderten von Händlern gesprochen habe, fange ich langsam an zu glauben, dass IMRG/eMarketer Recht haben mit ihren Wachstumsraten. Warum kann es sein, dass der UK E-Commerce tatsächlich um 15% ansteigen wird? Was ist hier anders, als z.B. in den USA, wo eine Steigerung von lediglich 5% prognostiziert wird? Unter anderem liegt es wohl daran, dass die stationären Unternehmer ihre häufig zu teuren Ladenlokale verlassen, so wie am Piccadilly Circus, und vermehrt online statt offline verkaufen. Was hier natürlich auch eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt sind die Geschäftsöffnungszeiten, die erheblich kürzer sind als in den USA, was für den stationären Handel sicher nicht von Vorteil ist. Auch das wird mit ein Grund sein, warum viele ihre Läden schließen und mit dem 24 Stunden-Service im Internet Geld verdienen möchten. Deshalb die möglichen 14-15%!“

Nach der Rede von Mark Lewis, Managing Director eBay UK sprach Wingo mit vielen Top-Händlern auf der Catalyst und konnte feststellen, dass sie sehr viel optimistischer in die Zukunft blicken, als US-amerikanische eBay-Händler. Unter anderem liegt es wohl auch daran, dass der britische Marktplatz sich komplett von den Artikeleinstellungen des Shop-Angebot-Typs verabschiedet hat. Hier gibt es entweder Auktionsformat oder die 30-Tage Festpreis-Periode. eBay.co.uk hat ferner sein eigenes Best Match-Verfahren. Sie ziehen andere Hebel als die USA und der Mix zwischen Festpreis- und Auktionsformat ist ebenfalls abweichend. Oft haben sie nahezu kostenlose Einstellgebührenangebote, was natürlich viele der Händler nutzen. Der Markt ist also in vielerlei Hinsicht unterschiedlich zu dem amerikanischen. Ob es eBay Großbritannien helfen wird schneller zu wachsen, wird sich zeigen.

Vielleicht ist aber eher auch die Makro-Ökonomie, die es richten wird. Obwohl der britische Optimismus hinsichtlich des Wachstums 2009 größer ist, so teilen die Briten doch auch die gleichen Sorgen mit den Amerikanern:

  • DSRs (detaillierte Verkäuferbewertungen) sind in England gleichermaßen unbeliebt. Die meisten britischen Händler sind Pan-Europäer, das heißt, Business unter anderem in einem wirtschaftlich vereinigten Europa, was sie unter einem enorm anwachsenden nicht–inländischen Handelsverkehr leiden lässt. Auch sind die Bearbeitungs- und Frachtkosten um einiges höher als in den USA, sodass es relativ schwer ist, einen Punktestand > als 4.7 in dieser Unterkategorie zu erreichen.
  • Gratisversand: eBay deutete an, dass sie den Gratisversand in verschiedenen Kategorien forcieren werden. Wingo ist der Meinung, dass dies hauptsächlich in der Media-Kategorie passieren wird, denn sonst überholt Amazon eBay in dieser Kategorie sofort.
  • Werbung: Davon sind die britischen Händler stärker betroffen als jede andere Nation. Zu einem Zeitpunkt im 4. Quartal gab es beispielsweise 3 Banner auf der „Titelseite“, und das von konkurrierenden Händlern, und die gesponserten Links waren bei der Suchabfolge ganz oben platziert.
  • Suchabfolge: Nein, BestMatch mag man auch in England nicht. Die eBay-Nutzer hier sind derart beseelt von „jüngsten Abverkäufen“, dass sie alles andere vergessen.
  • Auktionen: eBay Großbritannien geht bei den Festpreis-Formaten sehr viel zügiger vor als es in den Vereinigten Staaten der Fall ist, so dass die Webseite vor Festpreis-Artikeln fast überquillt. Das Auktions-Format leidet darunter, denn die Darstellung via Best Match ist eindeutig spärlicher.

Allgemein wird an der britischen eBay-Front bei den Verantwortlichen gerade über so etwas wie Multi-SKU, also „Stock Keeping Unit“ diskutiert. Es ist die eindeutige Bezeichnung einer Variante eines Artikels, was so viel heißt wie Artikelnummer. Dieses Thema wird einen bedeutenden Einfluss auf die Händler haben. Mehr dazu wird wohl in der nahen Zukunft angekündigt. Außerdem ist fast jeder bei eBay urplötzlich vom Net Promoter Score (NPS) besessen.

Der Net Promoter Score (NPS) ist ein Index zur Messung der Wahrscheinlichkeit, mit der Konsumenten ein Erzeugnis, eine Firma oder einen Dienst weiterempfehlen. Berechnet wird der NPS durch die Differenz zwischen Promotoren-Wertung (Kunden, die auf einer Skala von 0-10, mit 9 oder 10 antworten) und Kritikern des betreffenden Unternehmens oder Produktes, wobei Kritiker in dem Rahmen von 0 bis 6 antworten. Kunden, die mit 7 oder 8 antworten, gelten als „passiv Zufriedene“ und werden bei der Berechnung des Score nicht mit eingerechnet. Die Anzahl der Promotoren und Kritiker wird  dadurch erstellt, indem man einer stellvertretenden Gruppe von Verbrauchern ausschließlich die Frage stellt: „Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie Firma/Produkt XY einem Freund oder Kollegen weiterempfehlen werden?“ Gemessen werden die Antworten auf einer Skala von 0 (unwahrscheinlich) bis 10 (äußerst wahrscheinlich). Scot Wingo wird sich mit diesem Thema zu gegebener Zeit ausführlicher beschäftigen, da der NPS ebenfalls die Händler-Tätigkeiten beeinflussen wird.

  • Marktplatz – Amazon: Amazon UK liegt etwa 3-4 Jahre hinter dem amerikanischenMarktplatz  zurück. Aber er wächst in einem solchem Tempo, dass er Amazon.com spätestens in 2 Jahren eingeholt haben wird. Wingo: „Interessanterweise erfuhr ich während einer Diskussionsrunde, dass die Mehrzahl der Leute immer noch glaubt, Amazon sei immer noch eine Bücher-, Video- und Musik-Plattform. Daran muss Amazon also noch arbeiten. …“
  • Comparison Shopping Engines (CSE): Ein ganz interessantes Phänomen in Großbritannien. Shopping.com, Shopzilla, NexTag oder Yahoo! Shopping werden ganz häufig genutzt. Laut ComScore besuchten im Februar 2009 40% der Internet-User Minimum eine Seite der CSEs, der Trend ist stark ansteigend. In den USA sind es 34% und im restlichen Europa 27%. Oftmals beginnen die britischen Händler ihr Business auf eBay, gehen dann zu CSEs und landen zum Schluss bei Amazon. Der Weg in den Staaten ist eBay, Amazon und dann CSE.

Soweit zu den Beobachtungen von Scot Wingo in der Zusammenfassung. Abschließend bekennt er: „Es ist schön eine Nation zu sehen, die die weltweite Rezession noch einigermaßen schultert und den E-Commerce-Traum am Leben erhält. Das kann uns alle nur zuver- sichtlich stimmen.